Die niederländischen Fans von Max Verstappen drückten dem Rennen in Spielberg ihren Stempel auf. Foto: IMAGO/Wolfgang Jannach

Der Sieg von Charles Leclerc beim Grand Prix in Österreich ist nach den üblen Szenen unter den Anhängern eine Randnotiz. Droht der Rennserie eine Verrohung der Sitten wie im Fußball?

Weit mehr als 100 000 Zuschauer beim Großen Preis von Österreich am Sonntag, ausgelassen feiernde Fans auf den Tribünen, in Charles Leclerc ein in Ferrari-Rot jubelnder Sieger – das sind die schönen, bunten Bilder, die die Welt aus Spielberg gesehen hat. Doch während der Formel-1-Party gab es auch widerwärtige und abscheuliche Exzesse, rassistische Äußerungen, homophobe Sprüche und sexistische Kommentare.

Vor allem Frauen berichteten in den sozialen Medien von unangenehmen Szenen: Einer sei der Rock angehoben worden mit den Worten „Mercedes-Fans genießen keinen Respekt“, zwei Mädchen, die Hand in Hand gingen, wurden beschimpft – da war das Verbrennen von Fankappen der gegnerischen Teams fast eine der kleineren Verhaltenssünden.

Im Fußball hört und liest man immer wieder von ähnlichen Exzessen, die Formel 1 schien bislang ein Gelände zu sein, in dem sich die Fans als Gentleman-Fahrer präsentierten. Doch während die Motorsport-Eliteliga gerade auch in Europa wieder zu einem Zuschauermagneten wird, scheint die Szene in schmutziges Terrain neben der Strecke zu driften – drohen in der Formel 1 bald Verhältnisse wie im Fußball?

Harald Lange sieht dies nicht so, zumindest nicht aus seinem aktuellen Blickwinkel. „Überblickt man die Jahre“, sagt der Fanforscher der Uni Würzburg, „würde ich nicht von einem Fanproblem in der Formel 1 sprechen. Es gab nicht genügend Vorfälle dieser Art wie in Spielberg, um daraus eine Tendenz abzuleiten. Für mich war es ein singuläres Ereignis.“ Der 1968 geborene Sportwissenschaftler sieht im Charakter der Veranstaltungen den Unterschied. Ein Grand Prix habe für die Besucher einen Eventcharakter, viele Anhänger besuchten nur ein, maximal zwei Rennen im Jahr, der größere Teil fühlt sich emotional nicht extrem einem Fahrer oder Team verbunden. Zudem reist der Tross um die Welt, so dass pro Jahr und Ort nur eine Veranstaltung stattfindet. „Ich sehe vor allem eine standortbezogene Problematik“, betont Lange. Soll heißen: Die Österreicher sollten sich schon heute Gedanken machen, wie sie eine Wiederholung der Exzesse beim Grand Prix 2023 verhindern.

Im Fußball dagegen finden die Partien wöchentlich statt, und Heimspiele stehen in der Regel alle 14 Tage an, weshalb die Kontinuität der Fanlager ungleich höher ist als in der Formel 1. Auch die Bindung an den Heimatclub ist meist stärker ausgeprägt als an einen fernab beheimateten Rennstall oder an einen Piloten, den man noch nie persönlich zu Gesicht bekommen hat. Damit ist das Feld, auf dem Fußball gespielt wird, stärker von Emotionen (und damit negativen Auswüchsen) getränkt als die Rennstrecke.

„Natürlich“, sagt Harald Lange, „sind auch in der Formel 1 Zuschauer dabei, die in irgendeiner Form über die Stränge schlagen.“ Ähnliche Vorfälle gab es zweifellos schon bei anderen Großen Preisen, nur nicht so geballt – und sie wurden nicht so öffentlich angesprochen. „Wir haben etwas in dieser Art zuvor nicht mitbekommen“, sagt ein Mercedes-Teammitglied, „aber das heißt nicht, dass so etwas nicht vorgekommen ist.“

Der Automobil-Weltverband Fia, Rennställe und Piloten haben die Vorfälle unisono verurteilt. „Wer diese Leute auch sind, sie sollten sich schämen und auf Lebenszeit von Rennveranstaltungen ausgeschlossen werden“, sagte Ex-Weltmeister Sebastian Vettel, Rekordweltmeister Lewis Hamilton zeigte sich „angewidert und enttäuscht“. Die deutlichen Signale seien wichtig gewesen, findet Fanforscher Lange, „sie waren beeindruckend in ihrer Geschlossenheit.“ Die Formel 1 sei gehalten, so der Würzburger Professor, die Szenerie „genau zu beobachten“. Der Boom der Formel 1 bringt nicht nur Freude – wo Licht ist, entsteht eben auch Schatten.