Der Brüsseler Stadtteil Molenbeek galt lange als Hochburg der Islamisten. Dieses Bild soll sich mit der Bewerbung um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2030 ändern. Foto: dpa/Stephanie Lecocq

Der Brüsseler Stadtteil bewirbt sich um den Titel der Europäische Kulturhauptstadt 2030. Die Kritik daran ist allerdings vielfältig.

Auf dem Wochenmarkt vor der Kirche Saint-Jean-Baptiste in Molenbeek herrscht ungläubiges Staunen. Molenbeek soll Europäische Kulturhauptstadt 2030 werden? Keine der Frauen in der kleinen Runde vor dem Fleischerwagen kann sich unter dem Titel etwas vorstellen, doch Argumente dagegen sind schnell gefunden. Zum Beispiel ist Molenbeek keine Stadt, sondern nur eine von insgesamt 19 Gemeinden, welche die Region Brüssel-Hauptstadt bilden. Rund 100 000 Menschen aus mehr als 100 verschiedenen Nationen leben in dem etwas heruntergekommenen Viertel entlang des Kanals, der Brüssel im Zentrum von Belgien mit dem südlicher gelegenen Charleroi verbindet. Auch was das Thema Kultur angeht, finden die Frauen kein Beispiel, mit dem Molenbeek von sich Reden gemacht hätte. Das direkt angrenzende Viertel Anderlecht beheimatet wenigstens einen bekannten Fußballklub.

Ein nicht ganz unumstrittenes Projekt

Jan Goossens kennt all diese Einwände, die gerne mit einem gewissen Spott vorgebracht werden. Der Mann ist als Künstlerischer Leiter mit der Vorbereitung des auch in Belgien eher unumstrittenen Projekts betraut. Die Konkurrenz ist beachtlich, bekannte Städte wie Brügge, Gent, Löwen und Lüttich haben sich ebenfalls um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt beworben. Sie gelten als Perlen der flämischen Kultur oder sind wegen ihrer mittelalterlichen Architektur weltbekannt.

Und Molenbeek? Die Gemeinde habe „enormen Stärken“, betont Jan Goossens. „Es sei eine sehr junge Gemeinde, eine Gemeinde der Migration, aber auch der großen sozialen Mobilität. Vor allem ist es eine Gemeinde mit einem großen kulturellen Aufschwung,“ sagt der Kultur-Macher, räumt dann aber auch ein: „Es ist eine Gemeinde mit einigen Problemen.“

Rauer Alltag in einem armen Startviertel

Das ist allerdings eine reichlich verharmlosende Umschreibung für den rauen Alltag in dem Viertel, das es vor einigen Jahren zu traurigem Weltruhm gebracht hat – als „Hauptstadt des Terrors“. In der Nacht des 13. November 2015 töteten Terroristen bei mehreren Anschlägen in Paris 130 unschuldige Menschen. Unter den Tätern: junge Männer aus Molenbeek. In den Tagen nach den Attentaten belagerten Fernsehteams aus der ganzen Welt den Platz vor dem Rathaus, befragten die Gemüsehändler oder unbescholtene Passanten und sendeten exklusive Bilder aus jenem Viertel, das nun als Brutstätte des Islamismus Schlagzeilen machte.

Der Stadtteil, der zu den ärmsten Regionen Belgiens zählt, hatte allerdings schon vorher als sozialer Brennpunkt einen mehr als zweifelhaften Ruf. Wer bei Bewerbungen die Postleitzahl 1080 angab, bekam schwerer einen Job; gepaart mit dem Vornamen Aishe oder Halil war es fast aussichtslos, irgendwo angenommen zu werden – auch das ist ein Grund, weshalb die Arbeitslosigkeit in Molenbeek weit über dem Landesdurchschnitt liegt. Nach den Anschlägen in Frankreich war das Ansehen Molenbeeks dann endgültig ruiniert.

Eine Organisatorin im Fadenkreuz der Kritik

Bei der Bewerbung zur Kulturhauptstadt gehe es nicht nur um Molenbeek, betont die Politologin Fatima Zibouh, die an dem Projekt zusammen mit Goossens federführend beteiligt ist. Ziel sei es, die gesamte Region Brüssel einzubinden und die 19 Gemeinden eng zu vernetzen. Da die Stadt Brüssel bereits im Jahr 2000 Kulturhauptstadt war, habe Molenbeek lediglich aus administrativen Gründen die Bewerbung eingereicht, erklärt Fatima Zibouh.

Inzwischen ist die Organisatorin selbst ins Fadenkreuz der Kritik geraten. Ihr wird schon seit Jahren vorgeworfen, eine kritiklose Haltung gegenüber dem radikalen Islam zu haben und sogar Kontakte in die Szene der radikalen Muslim-Brüder zu unterhalten. Auch dass Zibouh ein Kopftuch trägt, ist immer wieder ein Streitthema, ihre Gegner sagen, dass sie dadurch die Neutralität des Staates missachte.

Angriff ist die beste Verteidigung

Fatima Zibouh ging nun zum Gegenangriff über und betonte in einem langen Interview mit der Tageszeitung „Le soir“: „Ich wiederhole, dass ich keinerlei Verbindung zu irgendeiner Ideologie habe, sei es die Muslimbruderschaft oder irgendeine andere Bewegung.“ Sie sieht sich als Opfer von Verleumdungen und möchte lieber über die konkreten Projekte im Rahmen der Bewerbung Molenbeeks als Kultur-Hauptstadt sprechen. Geplant ist etwa, in der belgischen Hauptstadt ein „Museum der Brüsseler Einwohner“ zu bauen. Dort soll die Geschichte der verschiedenen Migrationswellen erzählt werden, also jener Menschen, die mit ihren unterschiedlichen Kulturen zum Aufbau und zur Entwicklung der Stadt beigetragen haben.

Die Frauen auf dem Wochenmarkt vor der Kirche Saint-Jean-Baptiste nehmen solche Pläne mit Interesse zur Kenntnis. Das sei sicherlich eine gute Sache, lautet das kollektive Resümee. Besser sei es aber, wenn sich die Stadtverwaltung zuerst einmal um eine funktionierende Müllabfuhr kümmern würde.