Die EU-Kommission in Brüssel hat nun die Möglichkeit, gezielt gegen Mitgliedsländer vorzugehen, die die Demokratie mit Füßen treten. Foto: dpa/Zhang Cheng

Endlich hat die EU das Werkzeug, jene Mitgliedstaaten gezielt in die Schranken zu weisen, die die Demokratie mit Füßen treten, kommentiert unser Brüssel-Korrespondent Knut Krohn

Luxemburg - Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist für Polen und Ungarn nicht nur eine schwere juristische Niederlage. Es ist auch ein demokratischer Offenbarungseid für beide Regierungen. Die Werte der Rechtsstaatlichkeit sind ihnen erst wichtig, wenn es ums Geld geht. Warschau hat bereits angedeutet, dass man zentrale Teile der umstrittenen Justizreform zurücknehmen werde.

Zweifelhaftes Agieren der EU-Kommission

Aber auch die EU-Kommission macht in dieser Sache keine wirklich gute Figur. Das Spitzenpersonal in Brüssel agiert erschreckend zögerlich, obwohl in Ungarn und Polen seit Jahren die Grundfesten der Europäischen Union zerstört werden. Diesen Eindruck scheinen auch die Richter des Europäischen Gerichtshofes zu haben, die in ihrem Urteil überraschend deutlich werden. Sie weisen in ihrer Begründung ausdrücklich darauf hin, dass das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedsstaaten die Achtung gemeinsamer Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Solidarität voraussetze. Die EU müsse in der Lage sein, diese zu verteidigen.

Die Demokratie mit Füßen getreten

Das Urteil ist nun das lange erhoffte Werkzeug, jene Mitgliedstaaten gezielt in die Schranken zu weisen, die die Demokratie mit Füßen treten. Das ist gut so. Hätten die Luxemburger Richter den Regierungen in Polen und Ungarn weiter freie Hand gelassen, hätte manch anderer Politiker mit autokratischen Fantasien das zum Vorbild genommen. Der Zerfall der Europäischen Union, die dem Kontinent über Jahrzehnte Frieden und Wachstum beschert hat, wäre unweigerlich gewesen.

Die große Verzweiflung des Victor Orban

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, den Richterspruch entschlossen umzusetzen. Sie wird sich an diesen Worten messen lassen müssen. Denn zu oft sind ihren großen Worten zuletzt nur kleine Taten gefolgt. Victor Orban zumindest scheint sich der Tragweite des Richterspruches bewusst. Vor einigen Tagen drohte er sogar mit dem Austritt Ungarns aus der EU – trotz der Tatsache, dass bei Umfragen fast 80 Prozent seiner Landsleute die Mitgliedschaft positiv bewerten. Auf diesem Hintergrund wirken die Sprüche Orbans nicht mutig und weitsichtig, sondern sind eher Zeugnis seiner zunehmenden politischen Verzweiflung und der Angst vor dem drohenden Machtverlust.