Unternehmensgründer haben EU-weit Mühe, Kapital für Start-ups aufzutreiben. Foto: Stockadobe/Alberto Grosescu Foto:  

Der Europäische Rechnungshof legt den Finger in die Wunde: Die EU-Kommission scheitert mit dem Versuch, für den freien Fluss von Kapital im Binnenmarkt zu sorgen.

Luxemburg - Alle Versuche der Kommission, für den freien Fluss von Kapital im gesamten EU-Binnenmarkt zu sorgen, sind nach einem Bericht des Europäischen Rechnungshofes (ECA) bislang weitgehend gescheitert. Darunter leiden vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen (KMUs), die in vielen Mitgliedstaaten der EU keine Alternativen zur Deckung ihres Kapitalbedarfs aus Bankdarlehen haben. Risikokapital, privates Beteiligungskapital oder Kapital aus Verbriefungen sei in vielen Mitgliedsländern, gerade im Osten und im Süden Europas, nach wie vor sehr schwer zugänglich. Die Kommission hat schon vor Jahren erkannt, dass sie hier gegensteuern muss, auch um Start-ups in der EU zu halten und vor dem Abwandern in die USA zu bewahren. Allerdings: Die Maßnahmen, die sie seit 2015 ergriffen hat, haben so gut wie keine Ergebnisse gezeigt. Rimantas Sadzius, der für den Bericht des Europäischen Rechnungshofes (ECA) zuständig ist, sagte: „Die Kapitalmarktunion ist eine bisher unvollendete Aufgabe, an der noch viel gearbeitet werden muss.“

„Einhörner“ wandern ab

Jedes Mitgliedsland der EU schickt ein Mitglied an den Rechnungshof. Sadzius wurde von seinem Heimatland Litauen abgeordnet. Sadzius macht deutlich, wie wichtig eine funktionierende Kapitalmarktunion für das wirtschaftliche Wachstum der EU wäre. „Die Notwendigkeit des freien Warenverkehrs war nie größer als heute.“ Mit dem Brexit ist London mit seinem vitalen Finanzmarkt, der ein funktionierendes Hub für die Start-up-Finanzierung darstellt, formell bereits aus der EU ausgeschieden. Der weltweite Wettbewerb nehme zu, die „Einhörner“, darunter versteht die EU schnell wachsende Start-ups mit einem Wert von über einer Milliarde Dollar, zeigten immer noch Abwanderungstendenzen.

Der Rechnungshof sieht beim Kapitalmarkt große Unterschiede innerhalb der EU. Einen ernst zu nehmenden Markt für Risikokapital gebe es allenfalls in einigen wenigen Mitgliedstaaten wie etwa in Deutschland, Schweden, den Niederlanden, Frankreich und Dänemark. Die westlichen und nördlichen Mitgliedstaaten verfügten tendenziell über tiefere Kapitalmärkte. Dadurch entstünden „sich selbst verstärkende Kapitaldrehscheiben“, wovon im Süden und Osten nicht die Rede sein könne. „Die Prüfer stellten fest, dass die Kommission keine umfassende und klare Strategie zur Überwindung dieser Unterschiede ausgearbeitet hatte“, moniert Sadzius. Der Hof räumt ein, dass der Einfluss der EU auf die Vollendung der Kapitalmarktunion begrenzt sei. Die Mitgliedstaaten haben die Kompetenzen für Steuern, Insolvenzrecht und die Bildung im Finanzbereich. Die Kommission mühe sich redlich. So habe sie etwa für die Mitgliedstaaten Workshops ausgerichtet, wo Modelle zur steuerlichen Privilegierung von Risikokapital vorgestellt wurden. Doch die Resonanz der Mitgliedstaaten sei enttäuschend gewesen.

Zentrales Versprechen der EU

Die Zusage, für einen freien Verkehr von Kapital zu sorgen, gehört zu den zentralen Versprechen des EU-Binnenmarktes. Es einzulösen ist im Fall des Kapitals aber schwieriger als etwa im Bereich des Personen- oder Warenverkehrs. So behandeln viele Mitgliedstaaten Eigen- und Fremdkapital steuerlich unterschiedlich. Hier wäre der Rat, also das Gremium der Mitgliedstaaten, gefragt. Sadzius wirbt für regionale Ansätze. So verweist der gebürtige Balte etwa in seinem Bericht auf eine gelungene Kooperation zwischen Estland, Lettland und Litauen. In Estland ist zum Beispiel erlaubt, dass Kapital von Lettland und Litauen über die Landesgrenze kommt.