Vermögensverwalter Gerd Kommer hat mehrere Finanzratgeberbücher geschrieben, darunter den Bestseller „Souverän Investieren mit Indexfonds und ETFs“. Foto: Tanja Alde/Gerd Kommer Invest

Die Ausbreitung des Coronavirus hinterlässt immer tiefere Spuren in der Wirtschaft. An den Aktienbörsen geht es deutlich abwärts. Finanzexperte Gerd Kommer gibt im Interview Tipps, was Sparer und Anleger jetzt beachten sollten.

Stuttgart/München - Die Börsen befinden sich wegen der Corona-Pandemie seit Wochen im Ausnahmezustand. Die Furcht vor den wirtschaftlichen Folgen hat Anleger am deutschen Aktienmarkt zuletzt in die Flucht getrieben. Panikverkäufe und historische Kursverluste waren die Folge. Nun stellen sich für Privatanleger und Sparer viele Fragen: Wann ist der Tiefpunkt erreicht? In welchen Branchen gibt es Einstiegsmöglichkeiten? Und welche Anlagestrategie ist jetzt die beste?

Im Interview erklärt der Finanzexperte und Bestseller-Autor Gerd Kommer, was Sparer und Privatanleger in Zeiten der Corona-Krise beherzigen sollten. Der Vermögensverwalter aus München verrät, warum er passives Investieren mit ETFs und traditionellen Indexfonds auf Buy-and-Hold-Basis auch in Krisenzeiten für die beste Wahl hält.

In ihren Büchern schreiben Sie, dass ein Crash für junge Anleger und Sparer ein „Geschenk des Marktes“ sei. Ist jetzt tatsächlich ein guter Zeitpunkt, um an der Börse einzusteigen?

Gerd Kommer: Grundsätzlich ja. Aktien sind jetzt billig. Ich würde aber – so wie ich das seit über 20 Jahren und ganz unabhängig von „Krisen- oder Nicht-Krisenmodus“ in meinen Büchern schreibe – Privatanlegern davon abraten in einzelne Aktien, einzelne Branchen und einzelne Länder zu investieren. Viel klüger ist ein global gestreutes, also stark diversifiziertes Aktienportfolio. Das geht mit ETFs, also mit Aktienindexfonds, recht einfach. Außerdem sollten die allermeisten Privathaushalte natürlich kein 100/0-Portfolio haben, sprich 100 Prozent ihrer liquiden Anlagen sind Aktien, sondern ein diversifiziertes Portfolio aus Aktien und sicheren Anleihen oder alternativ einem Bankguthaben innerhalb der staatlichen Einlagensicherung. Diese Kombination aus risikobehaftet und risikoarm soll die spezifische Risikotragekapazität des Haushaltes abbilden. Die staatliche Einlagensicherung beträgt übrigens 100.000 Euro pro Einleger-Bank-Kombination.

Viele Ökonomen gehen davon aus, dass Deutschland in diesem Jahr in eine Rezession rutschen wird. Auch in anderen Industrieländern wächst die Sorge vor einem Konjunkturabsturz. Müssen wir uns auf dauerhaft rote Zahlen im Depot einstellen?

Gerd Kommer: Niemand kann die Entwicklung von Aktienkursen – oder Wertpapierkursen im Allgemeinen – kurz und mittelfristig zuverlässig vorhersagen. Wer das behauptet, ist ein Scharlatan und stellt sich überdies in völligen Widerspruch zur Wissenschaft, die die Nichtprognostizierbarkeit von Aktienkursen seit gut 50 Jahren immer wieder neu bestätigt hat. Wie weit die Aktienkurse fallen, wann die Erholung einsetzt und wie schnell diese gehen wird, kann niemand verlässlich vorhersagen, auch nicht die vielen selbst ernannten Experten in den Medien und im Internet, ob mit oder ohne beeindruckend klingendem „Expertentitel“. Was wir jedoch durchaus aus Historie und Sachlogik wissen: Auf sehr lange Sicht gibt es keine rentablere Asset-Klasse als Aktien. Sie sind rentabler als Wohn- und Gewerbeimmobilien, Agrarflächen, Anleihen, Gold, Rohstoffe und rentabler als Sammlerobjekte wie beispielsweise Oldtimer-Autos oder Kunst.

Heftige Einbrüche an der Börse gab es in der Historie immer wieder. Wie lange dauert es ihrer Meinung nach, bis sich die Kurse wieder erholen? Wie geht es an der Börse weiter?

Gerd Kommer: Nimmt man die sechs größten Aktien-Crashs in den letzten 120 Jahren, hier definiert als Einbrüche von inflationsbereinigt mindestens 45 Prozent, dann kann man folgendes sagen: Im Durchschnitt stiegen die Aktienkurse in den 24 Monaten nach dem Tiefpunkt um kumulativ etwa 75 Prozent und über die 60 Monate nach dem Tiefpunkt um etwa 140 Prozent. Der Tiefpunkt wurden in diesen sechs Börsenkrisen durchschnittlich nach knapp drei Jahren erreicht, in manchen Fällen deutlich schneller, in manchen später. Aber noch mal, es ist unmöglich die Entwicklung von Börsenkursen kurz- und mittelfristig zuverlässig vorauszusagen. Wenn sich im Nachhinein eine bestimmte Aktienmarktprognose, ob nach oben oder nach unten, als richtig herausstellt, dann war es Zufall, auch wenn das die jeweiligen „Propheten“ und die Medien stets anders darstellen, und auch wenn diese Abwesenheit echter Prognostizierbarkeit unserem Bauchgefühl zuwiderläuft.

Aktien, ETFs oder doch lieber Staatsanleihen? Welche Anlagestrategie empfehlen Sie in Zeiten der Corona-Krise?

Gerd Kommer: Wie vorhin erwähnt, sage ich seit über 20 Jahren in meinen Büchern, dass kein Privatanleger bei Aktien in Einzelwerte investieren sollte, weil das zu risikoreich ist und weil die Wissenschaft sagt, dass Einzelwertinvestments grundsätzlich keinen Sinn machen. Also besser global diversifizierte ETFs aus Tausenden von Einzelwerten verwenden, aber eben nicht nur Aktien-ETFs sondern eine sinnvolle Kombination aus einer Aktienkomponente und einer „risikoarmen“ Komponente. Im einfachsten Fall geht das schon mit zwei ETFs. Die risikoarme Anleihenkomponente sollte aus kurzfristigen Staats- und Unternehmensanleihen höchster Bonität ohne Währungsrisiko bestehen oder eben aus einem Bankguthaben innerhalb der staatlichen Einlagensicherung.

Sie sprechen sich für passives Investieren mit ETFs und traditionellen Indexfonds auf Buy-and-Hold-Basis aus. Was ist der Vorteil?

Gerd Kommer: Die Vorteile sind Einfachheit, Transparenz, geringer Arbeitsaufwand, niedrige Kosten, niedrigere Steuerbelastung und insgesamt ganz einfach die attraktivste Rendite-Risiko-Kombination.

In welchen Branchen sehen Sie jetzt Einstiegsmöglichkeiten?

Gerd Kommer: Genauso wie ich Einzelwert-Anlagen bei Privatanlegern nicht für sinnvoll halte, halte ich Investments in einzelne Branchen nicht für sinnvoll. Den Aktienteil meines eigenen Portfolios und auch den unserer Mandanten investiere ich immer und grundsätzlich in die gesamte Weltwirtschaft, also alle Branchen. Davon ungeachtet sind natürlich zu jedem gegebenen Zeitpunkt, nicht nur jetzt, einzelne Branchen günstiger bewertet als andere. Der billigste, am günstigsten bewertete Sektor ist derzeit die Finanzbranche. Die subjektiv unattraktivsten Branchen sind meistens die billigsten. Das dürfte wohl niemand überraschen.

Im deutschsprachigen Raum werden mehr als 1000 ETFs für Privatanleger angeboten. Welche gehören ins Portfolio – und welche nicht?

Gerd Kommer: Im Aktienbereich sind das weltweit diversifizierte ETFs und physischer Abbildung des Aktienmarktes. Diese ETFs haben im Vergleich zu traditionellen sogenannten aktiv gemanagten Aktienfonds sehr niedrige Kosten – nur ein Fünftel oder nur ein Zehntel des Kostenniveaus aktiver Fonds. Im Anleihenbereich sollte sich ein Privatanleger sich ausschließlich oder jedenfalls vorwiegend auf ETFs beschränken, die aus Staatsanleihen oder Unternehmensanleihen im obersten Bonitätsspektrum und einer durchschnittlichen Restlaufzeit von unter zwei Jahren bestehen – und ohne Wechselkursrisiko. Dass solche Anleihen seit ungefähr drei Jahren eine Nullrendite oder leicht negative Rendite haben ist trivial und ist gerade kein Grund sie zu meiden.

Was raten Sie jungen Sparern? Wie viel Geld sollte man für börsengehandelte Fonds (ETFs) zur Verfügung haben?

Gerd Kommer: Bei einem Online-Broker oder einer Direktbank einen ETF-Fondsparplan auf einen weltweit diversifizierten Aktien-ETF einrichten und monatlich, zweimonatlich oder vierteljährlich 100 Euro – oder mehr, wenn das geht – in einen solchen Aktien-ETF einsparen. Das möglichst 20, 30 oder 40 Jahren lang diszipliniert durchhalten, den Sparbetrag parallel zum steigenden Einkommen erhöhen und radikales Buy-and-Hold-Basis praktizieren. So kann man simpel, mit niedrigstmöglichen Kosten und Steuern eine erstaunliche Summe für seine Altersvorsorge erreichen.

Der Großteil der Deutschen hat keine Aktien. Wie nehmen Sie Ihnen die Angst, ausgerechnet jetzt in der Krise zu investieren?

Gerd Kommer: Ganz einfach mit kleinen Beträgen anfangen und sich so über eine Periode von zwei, drei, vier Jahren allmählich an Aktieninvestieren gewöhnen. Man könnte z. B. gerade jetzt „antizyklisch“ mit einem ETF-Fonds-Sparplan beginnen wie in Bezug auf die vorige Frage erwähnt. Wer so vorgeht, darf sich freuen, dass er aktuell zu einem sehr preisgünstigen Kursniveau einsteigt und daher seine langfristige Rendite in der Zukunft umso höher sein wird.

Zur Person: Dr. Gerd Kommer ist Gründer und Gesellschafter der Gerd Kommer Invest GmbH, ein Anfang 2017 gegründetes Honorarberatungs- und Vermögensverwaltungsunternehmen für vermögende Privatkunden, mittelständische Unternehmen und Stiftungen in München. Bis Ende 2016 war Kommer 24 Jahre lang im Großkundenkreditgeschäft von Banken tätig, zuletzt zehn Jahre am Standort London. Kommer hat mehrere Finanzratgeberbücher geschrieben, darunter den Bestseller „Souverän Investieren mit Indexfonds und ETFs“. Das Buch gewann 2016 den Deutschen Finanzbuchpreis, der von der Deutschen Börse AG und der Citibank gesponsert wird. Kommer studierte BWL, Steuerrecht und Politikwissenschaft in Deutschland, USA und Liechtenstein.