Die Basilika des Wallfahrtsortes Lourdes. Foto: imago images/Panthermedia

Lourdes mit den Augen des Wunschgläubigen und Ästheten Joris-Karl Huysmans’ gesehen: der berühmte Wallfahrtsort erregt bei dem französischen Autor Ekel und Bewunderung.

Stuttgart - Dass ein Autor über einen Wallfahrtsort schreibt, dessen Romanhelden sich sonst eher darum sorgen, ihre Speisen farblich passend zu arrangieren, ist weniger wunderlich als zunächst gedacht. Joris-Karl Huysmans’ (1848-1907) Figuren ekeln sich vor der menschlichen Mittelmäßigkeit, flüchten in künstliche Welten. Wenn dort aber das Heil nicht zu finden ist, dann vielleicht in der Hinwendung zum Jenseitigen.

Wie Floressas Des Esseintes aus dem Roman „Gegen Alle“, der am Ende ein Stoßgebet gen Himmel sendet: „Herr, habe Erbarmen mit dem Ungläubigen, der glauben möchte“, wendet der französische Autor sich Gott zu. Der Verfasser von Romanen, die der Pornografie verdächtigt worden waren und der über Satanismus geschrieben hatte, wurde 1901 Laienbruder in der Benediktinerabtei Ligugé, reiste 1903 und 1904 nach Lourdes. Das gleichnamige Reportagebuch erschien 1906, ein Jahr vor seinem Tod – jetzt ist es erstmals in der fabelhaften Übersetzung von Hartmut Sommer auf Deutsch zu lesen.

Der Ästhet leidet unter der Hässlichkeit der Kirchen

Zur Erinnerung: In einer Grotte in Lourdes soll dem Mädchen Bernadette 18 Mal die Jungfrau erschienen sein, das Quellwasser in der Grotte soll allerhand Spontanheilungen bewirkt haben. „Lourdes“ ist ein Schatz: an Sprachbildern, genauen Beobachtungen über „Mystik und Massen“, so der Untertitel, Kirchenkirmes und Frömmigkeit.

Der Reportageband ist gerade auch für Leser, die sich für Wallfahrtsorte kein bisschen interessieren, hoch spannend. Denn der misanthropische Ästhet setzt sich immer wieder durch bei seinen Gängen durch den kleinen Ort, diesem „Heizraum der Frömmigkeit“.

Er findet, das Volk könne das Hässliche vom Schönen nicht unterscheiden; und es sei dringende Aufgabe der „Geistigkeit, ... entsprechende Aufklärung zu betreiben“. Allerdings sei Lourdes, so empört sich Huysmans, der „Gipfel kirchlicher Geschmacklosigkeit“.

Huysmans schildert, wie die Züge zehntausende Pilger „abgepumpt haben“ und dass Messen „wie am Fließband zelebriert werden“. Er geht ins Büro, in dem vermeintliche Wunder auf Richtigkeit überprüft werden, schaut sich auf Marktplätzen, in Klöstern und Kirchen um.

Heuchlerische Pilger in Lourdes

Er lästert über die „unsäglichen Heuchlerinnen aus der Provinz ... sie bewegen ihren Rosenkranz wie die Stuten ihre Trense“. Der Autor jammert in schier heiterer Verzweiflung über „die penetrante Aufdringlichkeit des nie endenden Ave-Maria ... lauthals geplärrt zu billigen Melodien, die eher in lärmige Spelunken passen.“ Kurzum: er vermisst die „erhebende Feierlichkeit“.

Er möchte die Reinheit des Glaubens erleben, begegnet aber nur frömmlerischem Jahrmarkt. Wenig ist wunderbar, er sieht bemitleidenswert eitrige Körper, er riecht Schweiß und „Stinkefüße“.

Nie aber erhebt er sich über die wirklich Suchenden, ehrlich Verzweifelten, er beobachtet vermeldete Wunder mit der gebotenen Distanz, bewundert jene, die sich in dienender Nächstenliebe an der Arbeit am Kranken aufopfern.

Mit einer Art Gebet endet Huysmans: „Du bist in jedem Fall die weise Jungfrau, die sich in Lourdes zeigt“. Bei allem Willen zum Glauben, der heimliche Zweifel scheint durch im trotzigen Bekenntnis.

Info zum Buch

Joris-Karl Huysmans: Lourdes. Aus dem Französischen übersetzt (und mit einem lesenswerten Nachwort) von Hartmut Sommer. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf. 316 Seiten, 22 Euro