Die Staatsanwaltschaft Stuttgart steht in der Kritik. Foto: imago/Eibner/Hauenschild

Das Ermittlungsverfahren gegen einen Redakteur unserer Zeitung ist eingestellt. Wie das passiert ist, aber auch wie die Ermittlungen geführt worden sind, ruft Widerspruch hervor.

So sehen abgebrochene Stützen aus: Ausgerechnet der Top-Jurist Bernd Hecker, auf dessen Kommentar zum Paragrafen 353 d des Strafgesetzbuches die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungsverfahren gegen einen Redakteur unserer Zeitung und gegen Innenminister Thomas Strobl (CDU) gestützt hat, geht auf maximale Distanz zur Rechtsauslegung der Staatsanwaltschaft. Er lässt auch kein gutes Haar daran, auf welche Weise sie am Donnerstag das Verfahren gegen den Redakteur eingestellt hat und das gegen den Minister einstellen wird, wenn dieser 15 000 Euro zahlt.

Hartnäckige Recherche

Seit Anfang Mai hat die Staatsanwaltschaft gegen genau den Redakteur ermittelt, der mehr als 39 Monate lang in 53 Artikeln Missstände an der Spitze der baden-württembergischen Polizei aufgedeckt und eingeordnet hatte. Ihr Vorwurf: Mit seiner Berichterstattung über einen Brief, den der Anwalt des Inspekteurs der baden-württembergischen Polizei an Strobl geschrieben hatte, habe der Redakteur gegen den Paragrafen 353 d verstoßen. Und zwar durch rechtswidriges Zitieren aus der Ermittlungsakte zum Disziplinarverfahren gegen den obersten Polizisten des Landes.

Der Vorwurf gegen Strobl lautete, er habe zu diesem Rechtsbruch angestiftet, weil er den Brief an den Journalisten weitergeben ließ. Der Minister hält bis heute dagegen: Er habe damit Transparenz in dem heiklen Verfahren gegen den Inspekteur herstellen wollen. Dieser ist inzwischen wegen sexueller Verfehlungen gegenüber einer Mitarbeiterin angeklagt. Ein weiteres Ermittlungsverfahren läuft gegen ihn.

Jurist übt heftige Kritik

Der Tübinger Professor Bernd Hecker, Verfasser des Kommentars, auf den die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe gegen den Redakteur und den Minister stützte, hat den Fall im Auftrag der Verteidiger Strobls kürzlich begutachtet. „Streng nach fachwissenschaftlichen Grundsätzen“, wie er betont. Unserer Zeitung sagte Hecker: „Ich hatte Akteneinsicht, habe das Anwaltsschreiben und den Eingangsvermerk der Staatsanwaltschaft genau gelesen. Diese hat sich auf eine einzige Randnummer meines Kommentars bezogen, alle anderen aber missachtet.“

Daraus resultiere die falsche Interpretation seines Kommentars. Tatsächlich sei der Zweck des 353 d – Laienrichter und Zeugen vor Beeinflussung durch ein Zitieren aus Prozessakten zu schützen – durch die Berichterstattung über den Brief an keiner Stelle berührt worden. Außerdem hätten die Ermittlungen gegen den Redakteur zu einem faktischen Publikationsverbot über die Missstände bei der Polizei und über den Untersuchungsausschuss des Landtags geführt, der sich gerade damit beschäftigt. „Das entspricht einem tief greifenden Eingriff in die Pressefreiheit“, sagt Hecker. Diese aber hat Verfassungsrang und sei besonders zu schützen.

Staatsanwaltschaft schweigt

„Selbst bei weitester Auslegung des Paragrafen 353 d und unter Einbeziehung aller einschlägigen Kommentare war der Tatbestand eindeutig nicht erfüllt“, befindet Hecker. Er nennt es „enttäuschend“, dass sich die Staatsanwaltschaft Stuttgart „nie mit mir darüber ausgetauscht hat“.

Diese wiederum ließ die Fragen unserer Zeitung nach ihrem Vorgehen am Freitag unbeantwortet. Auch Fragen danach, warum weder der Redakteur noch sein Anwalt über den Antrag der Staatsanwaltschaft an das Landgericht Stuttgart, das Verfahren einstellen zu dürfen, informiert wurden und auch nicht über die Einstellung. Sie haben nach eigener Aussage nur aus Pressemitteilungen der Behörde und aus der Berichterstattung durch Medien davon erfahren.

Falscher Paragraf zugrunde gelegt?

Hart fällt Heckers Kritik daran aus, dass die Staatsanwaltschaft diese Verfahren im Falle des Redakteurs „wegen Geringfügigkeit der Schuld“; im Falle Strobls sogar nur gegen Geldzahlung eingestellt hat und einstellt. „Für eine solche Einstellung nach Paragraf 153 und 153 a der Strafprozessordnung muss der Straftatbestand zumindest grundsätzlich gegeben sein. Da diese Grundlage in diesen Verfahren fehlt, hätten sie nach Paragraf 170 (2) eingestellt werden müssen.“ Also, weil definitiv kein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Aus genau diesem Grund hat der Redakteur das Angebot der Staatsanwaltschaft abgelehnt, das Verfahren einzustellen, wenn er bezahlt.

Gegen die Einstellung „wegen Geringfügigkeit der Schuld“ kann er nicht vorgehen. Der Minister wiederum hat das Angebot der Einstellung gegen Geldzahlung wie er selbst sagt „ausdrücklich gegen den Rat meiner Anwälte“ angenommen. Mutmaßlich hatte er den politischen Druck im Blick, den eine Anklage, auch eine vor Gericht aussichtslose Anklage ausgelöst hätte. Äußern wollte er sich nicht mehr dazu.

Kritik von Landtags-Opposition

Namentlich die Fraktionschefs von SPD und FDP im Landtag, Andreas Stoch und Hans-Ulrich Rülke, hatten den Minister in dieser Angelegenheit mehrfach attackiert und ihm schweren Rechtsbruch vorgeworfen.

Das Landgericht Stuttgart hat am Montag dem Antrag der Staatsanwaltschaft zugestimmt, die Verfahren auf ihre Weise einzustellen. Hecker sagt dazu: „Juristisch ist das sehr unbefriedigend.“ Zwar stehe die Unschuld der Beschuldigten jetzt fest, „aber in der öffentlichen Wahrnehmung bleibt hängen, da sei doch was dran gewesen.“