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Die Begründung der Richter des Berliner Verfassungsgerichtshof für ihre drastische Entscheidung: Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus gab es „schwere systemische Mängel“.

Für Franziska Giffey ist es ein bitterer Tag – wenn auch einer, auf den die Regierende Bürgermeisterin von Berlin sich einstellen konnte. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat am Mittwoch verkündet: Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus muss komplett wiederholt werden. Der Landeswahlleiter hat bereits erklärt, dass die Wiederholung der Wahl am 12. Februar 2023 stattfinden soll.

Die Begründung der Richter für ihre drastische Entscheidung ist so klar wie harsch: Sie haben bei der Wahl, die im September 2021 am selben Tag wie die Bundestagswahl stattfand, „schwere systematische Mängel“ festgestellt. Diese hätten auch Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt. 88 von 147 Mandaten – also mehr als die Hälfte – seien von solchen gravierenden Wahlfehlern betroffen. Damit sei der Grundsatz allgemeiner, gleicher und freier Wahlen verletzt worden.

Bei der Abgeordnetenhauswahl war es zu schweren Pannen gekommen. Konkret geht es um falsche, fehlende und eilig kopierte Stimmzettel. Menschen mussten in langen Schlangen stundenlang auf die Stimmabgabe warten. Nicht jeder, der wollte, konnte wählen. In einem Teil der Wahllokale wurde noch nach 18 Uhr abgestimmt.

Das alles ist ein Ergebnis schlampiger Vorbereitung der Wahl. Zusätzlich zur Bundestagswahl und zur Abgeordnetenhauswahl gab es in Berlin an dem Tag auch noch einen Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne. Die Berliner Verwaltung war offensichtlich überfordert damit, alles zusammen hinzubekommen. In der Hauptstadt war an dem Tag zudem auch noch Berlin-Marathon. Am Ende war das Chaos perfekt.

Giffey wird nun darum kämpfen müssen, Bürgermeisterin zu bleiben. Die SPD war im September stärkste Partei geworden. Dabei hatte sie im Wahlkampf voll auf die Spitzenkandidatin gesetzt, die zuvor wegen einer Plagiatsaffäre vom Amt als Bundesfamilienministerin zurückgetreten war.

Das Rennen ist nun wieder vollkommen offen. Die Grünen rechnen sich Chancen aus, stärkste Kraft zu werden. In diesem Fall wäre eine Wiederauflage des derzeit regierenden Bündnisses von SPD, Grünen und Linken denkbar – dann aber mit den Grünen an der Spitze. Auch die Union wird darum kämpfen, in der Hauptstadt auf Platz eins zu kommen. Während die Landes-SPD im September 2021 von einem starken Bundestrend profitieren konnte, hat die Partei von Bundeskanzler Olaf Scholz derzeit bundesweit eher mäßige Umfragewerte.

Technisch betrachtet gibt es wichtige Unterschiede zwischen einer Neuwahl und einer Wahlwiederholung, wie sie nun ansteht. Auch wenn die erste Abstimmung lange her ist, werden am 12. Februar kommenden Jahres überall dieselben Direktkandidaten und Listen zur Abstimmung stehen wie im September 2021. Die Legislaturperiode startet nicht neu. Sie endet im Jahr 2026 – fünf Jahre nach dem ersten Wahltermin.

Auch die Bundestagswahl muss angesichts der chaotischen Zustände in den Wahllokalen in einigen Berliner Wahlbezirken voraussichtlich wiederholt werden. So hat es jedenfalls der Bundestag auf Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses beschlossen. Konkret geht es um 327 von 2256 Wahlbezirken sowie um 104 von 1507 Briefwahlbezirken. Im Bundestag gehen viele aber davon aus, dass dieser Beschluss vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angefochten wird.

Für Berlin machte Franziska Giffey währenddessen klar, dass der Senat keine Beschwerde gegen das Urteil des Landesverfassungsgerichts einlegen wolle. „Wir respektieren dieses Urteil“, sagte sie. Giffey verwies darauf, dass sie zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht Regierende Bürgermeisterin war. Das Amt hatte damals allerdings auch ein SPD-Politiker inne: Michael Müller, der jetzt für seine Partei im Bundestag sitzt.