Eltern prangern in Abuja fehlende Sicherheit für ihre Kinder an. Foto: AFP/Kola Sulaimon

In Nigeria ist die Entführung von Studenten und Schülern trauriger Alltag. Die Fälle häufen sich, die Lösegeldzahlungen sind hoch.

Johannesburg - Sie quälen sich in schmutzigen Kleidern und mit roten Augen aus dem Kleinbus, eine junge Frau muss getragen werden, eine andere wird gleich weiter ins Krankenhaus transportiert. Auf die restlichen 26 Studentinnen und Studenten der Forstwirtschaft warten Angehörige im Polizeihauptquartier der nigerianischen Provinzhauptstadt Kaduna: Sie brechen bei der Wiederbegegnung mit ihren Töchtern und Söhnen in schrille Schreie aus. Zwei Monate lang mussten sie befürchten, ihre Kinder nie wiederzusehen: Diese wurden von Entführern in einem Waldstück festgehalten, immer wieder mit Gewehrkolben geschlagen und mit kärglichen Essensrationen gerade so am Leben erhalten. Fatima Ibrahim verlor ihr Kind, mit dem sie im dritten Monat schwanger war. „Die Folter und die Erniedrigungen: Ich werde das niemals wieder vergessen“, sagt die 33-Jährige.

Gemeinsam mit zwölf weiteren Kommilitonen waren die 27 Studenten am 11. März von bewaffneten Gangstern aus ihrem College in Kaduna verschleppt worden. Nach einem Monat ließen die Entführer zehn der Studenten frei: Als Lösegeld sollen sie knapp 40 000 Euro erhalten haben. Zwei Kommilitonen gelang die Flucht. Welche Summe für die Freilassung der restlichen 27 Studenten in der vergangenen Woche bezahlt wurde, wollte Abdullahi Usman, der Sprecher der Eltern, nicht sagen.

Fünf Studenten wurden ermordet, als die Zahlung ausblieb

Es war die fünfte Massenentführung in Nigerias Nordwesten im Verlauf von vier Monaten. Im Dezember waren 344 Gymnasiasten im Bundesstaat Katsina entführt worden, Mitte Februar verschleppten Gangster 42 Personen aus einem Internat im Bundesstaat Niger und neun Tage später 317 Gymnasiastinnen im Bundesstaat Zamfara. Nach den Studenten der Forstwirtschaft wurden Ende April auch noch 23 Studenten der Greenfield-Universität in Kaduna entführt. Als kein Lösegeld einging, töteten die Gangster fünf der entführten Hochschüler.

„Kidnapping ist zu einem blühenden lukrativen Geschäft geworden“, sagt Shehu Sani, der Präsident des nigerianischen Civil Rights Congress: „Unsere Schulen werden wie Goldminen ausgeplündert.“

Ob die Täter mit der im Nordosten Nigerias aktiven islamistischen Extremistensekte Boko Haram unter einer Decke stecken, ist umstritten. Zumindest haben die Gangster von den Gotteskriegern gelernt: Deren Entführung von 276 Schülerinnen aus dem Internat in Chibok vor sieben Jahren hatte weltweit Entsetzen ausgelöst. „Kidnapping hat sich von einem ideologischen in einen rein kommerziellen Akt verwandelt“, meint der nigerianische Sicherheitsanalyst Don Okerere.

Mindestens 100 Millionen US-Dollar sind schon bezahlt worden

Politiker wie der Gouverneur des Bundesstaats Kaduna, Nasir el-Rufai, versichern, mit den „Verbrechern“ weder zu verhandeln noch Lösegeld zu zahlen. Doch wenn die Entführer wie jüngst in Kaduna mit der Ermordung ihrer Opfer beginnen, wird der Druck auf die Regierenden zu groß. In den vergangenen fünf Jahren seien „mindestens 100 Millionen US-Dollar“ Lösegeld gezahlt worden, schätzt Shehu Sani.

Schon in den ersten vier Monaten dieses Jahres soll es in Nigeria zu 437 gemeldeten Entführungsfällen mit fast 3000 Opfern gekommen sein, geht aus einem Bericht des unabhängigen Nigeria Security Tracker hervor. Der Regierung in Abuja droht die Sicherheit ihrer mehr als 200 Millionen Landsleute aus der Hand zu gleiten. Ex-General Muhammadu Buhari, der vor sechs Jahren als Kandidat mit vermeintlich starker Hand an die Macht kam, hat seinen Vertrauensvorschuss aufgebraucht. „Genug ist genug!“, befand der populäre Pastor Ejike Mbaka jüngst in einer Predigt: „In jedem zivilisierten Land wäre Buhari längst aus dem Amt gejagt worden.“