Das Kernkraftwerk Neckarwestheim II soll Ende 2022 abgeschaltet werden. Bleibt es länger am Netz? Foto: imago//Arnulf Hettrich

Angesichts der drohenden Gasknappheit fordert der bayerische Wirtschaftsminister, Hubert Aiwanger, kürzlich stillgelegte Reaktoren wieder hochzufahren. Habecks Ministerium hält das für ausgeschlossen.

Noch ringen die Ampelkoalitionäre in Berlin mit sich, ob sie die drei letzten noch aktiven Kernkraftwerke Emsland in Niedersachsen, Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg länger als geplant laufen lassen, um eine mögliche Stromlücke zu schließen. Angesichts der Gasknappheit mehren sich aber schon Forderungen, bereits stillgelegte Blöcke von Kernkraftwerken wieder hochzufahren. Oder gar den Ausstieg aus der Kernenergie grundsätzlich zu überdenken.

CDU-Chef Friedrich Merz fordert die Bundesregierung auf, für die drei Kraftwerke neue Brennstäbe zu besorgen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will „endlich mutige Entscheidungen“ und die drei aktiven Reaktorblöcke bis „mindestens Mitte 2024“ am Netz lassen. Sein Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) geht noch einen Schritt weiter: Er will die Atomkraftwerke Gundremmingen C, Brokdorf und Grohnde wieder hochfahren, die Ende 2021 vom Netz gingen. „Es bleibt in der jetzigen Lage nix anderes mehr übrig“, sagte der streitbare Freie-Wähler-Bundesvorsitzende, „wir könnten sofort zeitnah Gas einsparen, wenn wir das mit Kernkraft abdecken würden.“

CDU-Wirtschaftsrat fürchtet Blackouts

Aus der CDU gibt es ähnliche Stimmen. So hat Wolfgang Steiger, der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, vor allem das Atomkraftwerk Gundremmingen C im Auge, das an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg steht. „Gerade der Süden der Republik wäre ansonsten aufgrund fehlender Kapazitäten bei erneuerbaren Energien und dem schleppenden Leitungsausbau besonders vulnerabel“, sagt er unserer Zeitung. Er warnt vor „flächendeckenden Stromausfällen“ in beiden Bundesländern und befürchtet Produktionsstopps bei den Autoherstellern Audi, BMW oder Daimler sowie den Zulieferern. Bis hin zu „Stillstand bei regionalen Betrieben“.

Eine Gruppe von 20 Professoren von Universitäten aus ganz Deutschland äußert sich noch weitergehend. Sie fordern in einer „Stuttgarter Erklärung“ den 2011 nach der Katastrophe im japanischen Fukushima beschlossen Atomausstieg rückgängig zu machen. Sie sehen die Kernkraftwerke „als dritte Klimaschutzsäule“ neben Sonne und Wind, wie die Zeitung „Welt“ berichtet.

Ausstieg aus dem Ausstieg?

„Mit einseitiger Ausrichtung auf Sonne, Wind und Erdgas wurde Deutschland in Energienot manövriert“, mahnen die Forscher, die in technischen und ökonomischen Fachbereichen arbeiten. Sie wollen eine Petition an den Bundestag richten. Wenn mindestens 50 000 Unterschriften zustande kommen, können sie ihr Anliegen im Petitionsausschuss vortragen. André Thess, Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart, hofft auf weitere Mitstreiter: „Es gibt in der Wissenschaft einen breiter werdenden Konsens, dass Deutschland die Aussagen des Weltklimarats über die Kernenergie als Klimaschutztechnologie nicht länger ignorieren darf.“

Politisch wird sich dafür aber kaum eine Mehrheit finden, selbst in der Union wird die Entscheidung der Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) nicht infrage gestellt. Aber wie sieht es mit dem befristeten Wiederhochfahren von erst kürzlich stillgelegten Meilern aus? Das von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) geführte Wirtschaftsministerium weist in seinem Prüfbericht darauf hin, dass das Genehmigungsverfahren für stillgelegte Reaktoren neu begonnen werden müsse. Die Betriebserlaubnis sei erloschen. Die Grünen-Chefin Ricarda Lang bekräftigte im „Tagesspiegel“: „Eine Laufzeitverlängerung wird es mit uns nicht geben.“ Und die Organisation Greenpeace hält die drei von Aiwanger genannten Reaktoren für ein „potenzielles Sicherheitsrisiko“.