Erst als das Gewitter schon über Dortmund lag, ist das EM-Spiel Deutschland-Dänemark abgebrochen worden. Für Jörg Kachelmann ein Unding. Auch in Stuttgart war zunächst ein Gewitter prognostiziert worden.
Als am Samstag gegen 21.30 Uhr in Dortmund das EM-Achtelfinalspiel zwischen Deutschland und Dänemark wegen eines Gewitters unterbrochen wird, blicken auch viele Gäste auf der Fanzone in Stuttgart bange nach oben. Auch dort hatte es am Nachmittag eine Gewitterwarnung gegeben. „Das Wetter-Radar zeigt ein Unwetter, das sich möglicherweise auf uns zubewegt“, hatte es auf dem offiziellen X-Account der Uefa-Host-City geheißen. Die Fanzone werde zunächst trotzdem geöffnet. Jetzt verlassen Hunderte Fans den Schlossplatz. „Wir suchen uns irgendeine Kneipe“, sagt einer. Doch in Stuttgart hält das Wetter. Die frei werdenden Plätze werden schnell wieder gefüllt, weil vor den zwischenzeitlich geschlossenen Toren immer noch Fans warten.
Man habe den ganzen Tag das Wetter im Auge behalten, sagt der Stuttgarter Feuerwehr-Chef Daniel Anand. Am Freitag waren die Prognosen ziemlich schlecht gewesen. Am Morgen habe man sich mit den Veranstaltern des Public Viewings beraten. Allerdings habe es vom Deutschen Wetterdienst dann die Rückmeldung gegeben, dass das Gewitter wohl an Stuttgart vorbeiziehen würde, sagt Jörg Klopfer von In.Stuttgart. An dieser Erkenntnis änderte sich im Verlauf des Tages auch nichts mehr. Deshalb blieb es bei der Öffnung der Fanzone.
„In Stuttgart war das vertretbar, weil nie klar war, dass überhaupt etwas passiert“, sagt auch der Meteorologe Jörg Kachelmann gegenüber unserer Zeitung. Die Veranstalter in Dortmund überzog er jedoch mit harter Kritik. Dort hätte man das Public Viewing von vorne herein abblasen müssen, so wie in Frankfurt. In Dortmund gibt es Fanzonen auf dem Friedensplatz und im Westfalenpark.
Mehr als 30 000 Menschen verlassen den Westfalenpark
Tatsächlich verfügte die Feuerwehr den Abbruch in letzter Sekunde, als das Gewitter schon über der Stadt lag. Man habe hart mit sich gerungen, sagte der Dortmunder Feuerwehrchef Gero Droste. „Wir haben dann abgebrochen, weil klar war, dass Blitzeinschlag nicht ausgeschlossen ist.“ Auf Tiktokvideos ist zu sehen, wie die Fans begleitet von Donner und Blitzen aus dem Westfalenpark hasten. Dort hatten sich mehr als 30 000 Menschen aufgehalten. Auch die Fanzone auf dem Friedensplatz musste geräumt werden.
Im Stadion selbst wurde nach Kachelmanns Ansicht wohl ebenfalls zu spät reagiert. Spätestens 20 Minuten vor dem Anpfiff sei klar gewesen, wann und wo die Gewitterzelle sich entladen würde. Es sei „reiner Zufall, dass es nicht ein, zwei, viele Tote gab“, schrieb Kachelmann auf X. Auf Gewitterkarten ist nachvollziehbar, dass nur 300 Meter vom Stadion ein Blitz einschlug. „In zivilisierten Ländern wären alle Draußen-Veranstaltungen in den betroffenen Gebieten abgesagt worden, weil der Staat auch eine Fürsorgepflicht gegenüber bescheuerten Bürgern hat“, schrieb Kachelmann. „Aber in Deutschland werden Unwettertote als Menschen gesehen, die im Kampf für Freiheit gefallen sind.“ Deutschland sei ein „Inshallah-Land“.
Eine Studie nennt Zahlen
Während viele den Schiedsrichter Michael Oliver für die rechtzeitige Unterbrechung der Partie lobten, berichtete der „Tagesspiegel“, der Brite habe erst reagiert, als ihn die dänischen Spieler schon vehement dazu aufforderten. Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand hatte 2009 als Assistent erlebt, wie ein Spieler bei einem Trainingsspiel des FC Nordsjaelland von einem Blitz getroffen und schwer verletzt worden war.
Tatsächlich sind solche Vorkommnisse bei Fußballspielen gar nicht so selten. Der DFB zitiert auf seiner Internetseite eine Studie, nach der zwischen 1995 und 2008 neun Blitzunfälle auf Fußballplätzen registriert wurden. Dabei gab es insgesamt 179 Verletzte und ein Todesopfer. Die Gefahr drohe dabei vor allem durch den Blitzschritteffekt. Dabei verteilt sich die Ladung über den nassen Rasen und geht auf die Personen über, die sich auf dem Platz befinden. Weitere Unfälle spielten sich demnach in der Nähe von Bäumen, Flutlichtmasten und einer verzinkten Trainerbank ab.
30 oder drei Sekunden?
Der DFB empfiehlt bei Gewittern die so genannte 30-30-Regel. Das heißt, wenn zwischen der Wahrnehmung von Blitz und Donner weniger als 30 Sekunden liegen, soll ein Spiel abgebrochen werden. Zudem sollte nach dem Durchzug eines Gewitters 30 Minuten vergehen. Dass in Dortmund beide Regeln nicht eingehalten wurden, liegt auf der Hand. Dort sollen zwischen Blitz und Donner eher drei Sekunden gelegen haben. Zudem pfiff Oliver das Spiel nach 25-minütiger Unterbrechung wieder an.
Die Sicherheit gehe in jedem Fall vor, sagt In.Stuttgart-Sprecher Klopfer. Am vergangenen Mittwoch war die Stuttgarter Fanzone schon einmal wegen eines Gewitters vorübergehend geschlossen worden. Die Mitarbeiter an den Verpflegungsständen wurden abgezogen, weil der Aufenthalt unter den Zelten nicht sicher sei. Auch am Samstag hätte man rechtzeitig reagiert, glaubt Klopfer. Für Dortmund hat er dennoch Verständnis. „Als Spielort steht man wegen der vielen kartenlosen Fans schon unter einem gewissen Druck.“