Ein Replikat des 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckten Steinzeitmenschen „Ötzi“ liegt im Museum für Naturkunde in Magdeburg. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Vor fast 30 Jahren wurde Ötzi, die Mumie aus dem Eis, entdeckt. Österreichische Forscher gehen davon aus, das der Mann aus dem Tiroler Ötztal wahrscheinlich gar nicht im Eis starb, sondern erst Jahrhunderte später davon bedeckt wurde. Denn die Alpen waren damals teilweise eisfrei.

Innsbruck - Alpen ohne Gipfelgletscher? Was nach den dramatischen Folgen des Klimawandels klingt, gab es schon einmal – vor fast 6000 Jahren. Bis zu dieser Zeit waren die Gipfel der Ostalpen eisfrei. Als Ötzi, der Mann aus dem Eis, durch die alpenländische Bergwelt kraxelte, gab es dort sehr viel weniger Eis und Gletscher als heute.

Das belegen Eisbohrkern-Analysen an der 3518 Meter hohen Weißseespitze im Tiroler Kaunertal in den Ötztaler Alpen, die Forscher ausgewertet haben. Ihre Studie haben sie im Fachblatt „Scientific Reports“ veröffentlicht.

Ostalpen begannen vor 5900 Jahren zu vereisen

Demnach vereiste die zwölf Kilometer entfernte Weißseespitze erstmals vor rund 5900 Jahren. Ötzi lebte vor etwa 5300 Jahren. Die Mumie wurde am 19. September 1991 beim 3208 Meter hohen Tisenjoch in den Ötztaler Alpen oberhalb des Niederjochferners gefunden worden, als das abschmelzende Eis am Tisenjoch in der Nähe des Tiroler Kaunertals die Überreste freilegte. Der Fundort liegt rund 300 Meter tiefer als als der Gipfel der Weißseespitze.

Ob Ötzi im Eis starb oder erst später davon umschlossen wurde, lässt sich nicht mehr sicher bestimmen: Das dortige Eis wurde nie datiert und ist inzwischen geschmolzen. Womöglich vereiste dieses tiefer gelegene Gebiet erst Jahrhunderte später und war damit zu Ötzis Todeszeitpunkt eisfrei.

Natürliche Klimaschwankungen

Anhand von Eiskernbohrungen an der nahen Weißseespitze untersuchte das Team um Pascal Bohleber von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck nun das damalige Klima in der Region. Die Analyse von eingeschlossenem Kohlendioxid (CO2) zeigt, dass die unterste Eisschicht auf dem Berg etwa 5900 Jahre alt ist. Demnach war die Spitze vorher wohl eisfrei, und der dortige Gletscher entstanden erst infolge einer Abkühlung, die damals begann.

Damit zeigt sich, dass natürliche Klimaschwankungen, welche die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung verstärken können, enorme Auswirkungen auf die Gletscher auch in hohen Lagen haben können. So waren die Gipfel der Ostalpen in den vergangenen 10 000 Jahren schon einmal eisfrei.

In wenigen Jahren ist das Klimaarchiv geschmolzen

Die Klima-Ergebnisse der Studie decken sich mit anderen Untersuchungen aus dem Alpenraum. „Wir wissen zum Beispiel durch vom sich zurückziehenden Eis freigelegte Bäume, die datiert werden konnten, sowie aus anderen Klimaarchiven, dass es vor etwa 6000 Jahren ein sogenanntes Klimaoptimum gab“, sagt Bohleber. Die Eiskernbohrungen legten nahe, dass damals auch hoch gelegene Gipfel in den Ostalpen eisfrei waren.

Laut Pascal Bohleber schwindet die Möglichkeit von Eisbohrkern-Analysen in der Ostalpen-Region sehr schnell. Der dortige Gepatschferner, Österreichs zweitgrößter Gletscher, zieht sich rapide zurück. „Wir haben Glück, überhaupt noch Bohrkerne entnehmen zu können“, erklärt der Uweltphysiker. „Die Zeit rennt uns davon. Es gibt nur noch zehn bis zwölf Meter Eis, schon in wenigen Jahren könnte dieses Klimaarchiv verschwunden sein.“