Der Geschäftsführer des Traditionsgeschäftes Tritschler am Marktplatz kann – anders als andere – nicht klagen. Foto: StZN/Martin Haar

Der erste Samstag nach dem Lockdown in der Stadt zeigt: Die Hürden für den spontanen Lustkauf sind zu hoch. Zudem herrscht weiter Verunsicherung über die geltenden Corona-Regeln.

Stuttgart - Déjà vu. Nein, es ist keine Erinnerungstäuschung. Es ist kein Irrglauben, all das schon einmal erlebt zu haben. Das rege Treiben in der Stadt ist real. Auch wenn alles gefühlt so weit zurückliegt, dass man es für einen schönen Traum halten könnte: Die Erinnerungen an einen Samstag, an dem man zwanglos bummeln und einkaufen konnte. Oder sich auf dem Wochenmarkt versorgt hat und mit anderen ins Gespräch kam. Ein Leben frei von Sorgen. An diesem Tag kehrt tatsächlich ein Stück Normalität in die City zurück. Einzig die Menschen, die in Schlangen an vielen Ecken warten, passen nicht so recht ins Bild. Das Heer der Coronatest-Willigen mahnt alle: Die Mühsal der Pandemie ist noch nicht vorbei.

Aber daran will an diesem milden und sonnigen Maitag kaum einer denken. In diesem Sinne parlieren auch zwei ältere Damen beim Aufstieg zur Königstraße in der Schulstraße: „Besser als immer nur doheim rumhocke, gell Gerda!?“, wirft die eine Dame ihrer Freundin kurzatmig zu und bekommt ein „da hosch Recht“ zurück. Das, so geht der Dialog weiter, hätten sie wirklich lange genug gehabt. Also nix wie in die Stadt.

Manche warten sehnlichst auf Kundschaft

Auch die Familie Schneider aus Botnang hat es nicht mehr zu Hause ausgehalten. „Auf diesen Moment haben wir lange gewartet“, sagt der Vater und bekommt einen zustimmenden Augenaufschlag von seinen zwei süßen Fratzen im Vorschulalter sowie von seiner Frau geschenkt. „Eigentlich brauchen wir heute gar nix Bestimmtes“, sagt der Vater, „wir wollten einfach in dieses Gefühl eintauchen.“ Frei nach Goethes Faust: Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.

In der Sprache der Kaufleute würde man die Schneiders Spontan- oder Impulskäufer nennen. Menschen, die sich aus Lust und ohne Ziel etwas Neues gönnen. Genau darauf mussten alle so lange warten: Die Verkäufer und die Kunden, die bisher freudlos den notwendigen Bedarf im Internet orderten. Mit der neuen Freiheit hätte dieser Samstag eigentlich für alle zu einem Feiertag werden sollen. Denkste. Die erste Stichprobe bei zwei kleinen Textil-Händlern fällt ernüchternd aus. Auf die Frage „wie läufts?“, wirft einem Edel-Textilit Horst Wanschura einen eher traurigen Blick durch seine Ladentür in der Kronprinzstraße zu und meint: „Still ruht der See.“ Seine Angestellte und er warten sehnlichst auf Kundschaft. Doch die sei zutiefst verunsichert, erklären beide unisono: „Der Informationsfluss über die geltenden Regeln ist einfach schlecht.“

„Ist doch alles gaga geworden“

Tatsächlich denken viele: Ohne negativen Test ist kein Einkauf möglich. Oder sie glauben, dass ausschließlich eine Voranmeldung im Internet das Sesam-Öffne-Dich zum Shopping-Erlebnis sei. „Ich meld‘ mich doch online nicht zum Einkaufen an“, poltert ein Passant ungefragt und macht die Scheibenwischer-Geste vor seiner Stirn. Sie soll bedeuten: „Ist doch alles gaga geworden.“

Keiner blickt mehr durch, keiner kennt die Regeln, die scheinbar im Akkordtempo verändert werden. Darunter leidet auch der Modeladen von Uli Bühler in der Hirschstraße. Sieben Personen dürften rein, wenn sie ihre Kontaktdaten preisgeben. Stattdessen erleben die Verkäuferinnen einen ruhigen Samstag. Die Stimmung der beiden passt so gar nicht zum Sonnenschein: Unter den Schutzmasken stirbt das Lächeln einen Kältetod, wenn die Gedanken in Richtung der Verursacher der Extrembedingungen im Handel denken. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Einzelhändler von der Politik vergessen fühlen.

Zufriedenheit im Traditionsgeschäft Tritschler

Ganz anders sieht die Perspektive von Thomas Breuninger aus. Der Geschäftsführer des Traditionsgeschäftes Tritschler am Marktplatz mag nicht klagen. „Die ersten Tage nach dem Lockdown waren zäh, aber seitdem kommen täglich mehr Kunden.“ Auch mit dem Geschäft am Samstag ist Breuninger zufrieden. Dazu muss man wissen: Im Gegensatz zu den Modehändlern hat der Haushaltswaren-Laden eher Zielkundschaft. „Die Leute kommen sogar mit Listen“, berichtet Breuninger. An diesem Tag stehen darauf ganz oft hochwertige Messer, Weingläser und Artikel zum Thema Backen. Und noch etwas ist bei Tritschler anders: Den Kunden ist keine Hürde zu hoch. „Sie nutzen alles“, sagt Thomas Breuninger, „sie melden sich für den Einkauf auf unserer Homepage an oder beschleunigen den Zutritt mit der Luca-App.“ Und nicht wenige haben sogar einen Coronatest in der Tasche. „Überraschend oft sagen die Leute, den Test brauchen wir doch nachher sowieso, weil wir noch was essen wollen“, berichtet Breuninger und ergänzt: „Die Menschen wollen einfach dieses Stadtgefühl wiederhaben.“

In diesem Sinne fallen auch die Kommentare der Großen aus. „Die Leute haben wieder Spaß am echten Einkaufen und daran, die Produkte anfassen zu können“, sagt Thomas Benedetti von Galeria Karstadt Kaufhof. Sein Kollege von Breuninger, Joachim Aisenbrey, meint sogar: „Der Handel lebt!“ Auch bei Lederwaren Acker im Königsbau haben die Umsätze die Erwartungen übertroffen: „Die Leute, die da waren, haben auch gekauft“, sagt Christoph Achenbach. Holger Siegle von der City Initiative Stuttgart (CIS) fasst den Samstag so zusammen: „Die Erwartungen haben sich erfüllt. Die Menschen freuen sich, das Einkaufserlebnis zurückzuhaben und gleichzeitig die Vorzüge der Gastronomie wieder nutzen zu können. Einkaufen ohne eine Kaffee-Pause, einen kurzen Gang zur Toilette oder ein gemütliches Mittagessen, um sich stärken zu können, ist einfach nicht dasselbe.“ Die sei auch der Anspruch an die Zukunft: „Das Gesamtpaket muss stimmen und das bekommen die Menschen jetzt wieder zurück.“

Man könnte auch sagen: Stuttgart hat sich an diesem Samstag ein Stück Normalität zurückerobert.