So sieht Singens schöne neue Einkaufswelt aus. Foto: /Baris Cirak Fotografie

Jahrelang hat der Einzelhandel in Südbaden dank der Schweiz geboomt. Jetzt bleibt die Kundschaft weg. Der Konstanzer IHK-Chef Claudius Marx über die schwierige Lage am Hochrhein und inwieweit die Eröffnung eines riesigen Einkaufszentrums in diese Zeit passt.

Konstanz/Singen - Kleine Schlangen vor der Tür, eine Beschränkung der Besucherzahl auf gut 1000 im Inneren: gegenüber vom Singener Bahnhof ist das neue Einkaufszentrum Cano unter strengen Hygieneauflagen in Betrieb gegangen. Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee, Claudius Marx, erhofft sich Impulse von dem Einkaufszentrum. Die gegenwärtige Lage im südbadischen Einzelhandel sieht er aber durch die Corona-Pandemie düster.

Herr Marx, wie ist die Lage im Einzelhandel an der Schweizer Grenze?

Mit dem erneuten Lockdown sind Umsätze bei manchen Einzelhändlern in der Innenstadt wieder eingebrochen, teilweise bis zu 90 Prozent . Mit der Schließung der Gastronomie und dem diesjährigen Ausbleiben der Weihnachtsmärkte fehlen wichtige Frequenzbringer. Die epidemiologisch begründete Strategie „stay at home“ tut ein übriges. Wir erhalten jetzt schon die Rückmeldungen von vielen Einzelhändlern, dass es „eng werden“ würde, sollte sich die aktuelle und ungewisse Lage weit über Weihnachten hinaus oder sogar über Monate ziehen. Große Hoffnungen lagen auf dem Weihnachtsgeschäft, dass etwa 20 Prozent des Jahresumsatzes ausmacht, in einzelnen Branchen wie Spielsachen, Bücher, Uhren oder Schmuck liegt der Wert noch deutlich höher.

Und die Schweizer Kundschaft reißt es nicht raus?

Durch die hohen Infektionszahlen in Deutschland und der Schweiz sowie die schärferen Ein- und Ausreisbestimmungen ist auch der Einkaufstourismus wieder fast zum Erliegen gekommen. Die geltenden Erleichterungen der Corona VO EQ sind nicht durchweg bekannt. Allein die Komplexität der Regelungen und die hohe Frequenz ihrer Änderungen führen zu einem zurückhaltenden Reiseverhalten, was sich faktisch wie eine Grenzschließung auswirken kann. Den Einzelhändlern entlang der Grenze fehlt damit wieder nahezu die Hälfte ihres Kundenkreises. Die Schweizer Nachbarn kaufen wieder lieber zu Hause ein.

In Singen hat jetzt das Cano eröffnet. Kein günstiger Augenblick dafür, oder?

Die Planungen für das Cano liegen schon Jahre zurück. Dass die Eröffnung nun in eine Zeit fällt, in der ein weicher Lockdown gilt und ein harter von Tag zu Tag wahrscheinlicher wird, ist ebenso misslich wie es unvorhersehbar war. Wir erleben gerade für den Einzelhandel eine sehr unsichere Zeit oder anders ausgedrückt: Es gibt gerade momentan keinen günstigen Augenblick für eine lange geplante und vorbereitete Geschäftseröffnung. Auf eine generelle Entspannung nach Zulassung und Einsatz eines Impfstoffes zu warten, ist keine Option.

Was erwarten Sie sich für Impulse für Singen?

Die Folgen einer so großen Investition sind langfristiger Natur. Es macht deshalb Sinn, über die aktuelle Situation der Pandemie hinaus zu denken. Für die Zeit nach der Pandemie sehen wir gute Chancen, dass das Cano für zusätzliche Kundenfrequenz in der Singener Innenstadt sorgen wird. Wir gehen auch davon aus, dass wieder sehr viele Schweizer zum Kundenkreis gehören werden.

Sehen Sie Potenzial für weitere solche Shopping-Malls?

Shopping Malls liegen durchaus im Trend: Genau diesen Shopping-Malls ging es nach dem ersten Lockdown wieder schnell recht gut. Die Umsätze lagen im Sommer auf Vorjahresniveau. Das zeigt die Beliebtheit dieser Angebotsform.

Dann ist diese Entwicklung noch nicht am Ende?

Wir erleben schon eine gewisse Sättigung. Es wird in Zukunft weniger darum gehen, auf der grünen Wissen Malls hochzuziehen, sondern sie in die Stadtentwicklung zu integrieren. Viele Städte sind aktuell dabei, ihre Innenstädte neu zu denken und dazu gehören auch Einkaufszentren. Die Aufenthaltsqualität in solchen Anlagen ist generell hoch. Sortimentsbreite und -tiefe und ein Mix aus Handel, Gastronomie und anderen Angeboten wie etwa Kinos treffen auf reges Interesse der Kunden, die über die reine Versorgungsleistung hinaus ein besonderes Einkaufserlebnis suchen, Shopping als Gestaltungsoption ihrer Freizeit verstehen und für Spontankäufe offen sind. Richtig in ein innerstädtisches Handelskonzept integriert und geografisch dort verortet können Shopping Malls auf die gesamte umgebende Innenstadt positiv ausstrahlen.