Ausländische Arbeitskräfte sollen mit Hilfe des Gesetzes schneller und einfacher nach Deutschland kommen. Foto: imago/Zoonar/Yuri Arcurs peopleimages.com

Deutschland wird den Arbeitskräftemangel auch mit Menschen aus Nicht-EU-Ländern decken. Die wichtigsten Punkte der Reform.

Der Bundestag hat am Freitag ein Gesetz beschlossen, das Deutschland offiziell zum Einwanderungsland macht: eine umfassende Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Mit einem Punktesystem nach kanadischem Vorbild sollen qualifizierte Fachkräfte ins Land geholt werden.

Wie groß ist der Bedarf an Fachkräften?

Die Zahl der offenen Stellen lag im vergangenen Jahr bei fast zwei Millionen, das gilt als Wohlstandsbremse. Nach einer aktuellen Untersuchung der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der Berufe, in denen signifikante Engpässe bestehen, im Jahr 2022 kräftig gestiegen. In 200 der rund 1200 bewerteten Berufe wurde ein Engpass festgestellt – 52 mehr als ein Jahr zuvor.

Hürden werden abgebaut

Mangel herrscht quer durch alle Berufsfelder: Pflegeberufe, Berufskraftfahrer, Medizinische Fachangestellte, Bauberufe sowie Berufe in der Kinderbetreuung oder Kraftfahrzeugtechnik. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) befürchtet bis 2035 eine Lücke von sieben Millionen Arbeits- und Fachkräften. Fachleute schätzen, dass rund 400 000 Zugewanderte pro Jahr benötigt werden, um die Lücken zu füllen. Das neue Gesetz soll für etwa 75 000 zusätzliche Arbeitskräfte aus Drittstaaten pro Jahr sorgen.

Was ist der Kern der Reform?

Die wichtigste Neuerung ist die „Chancenkarte“, die mit einem Punktesystem kombiniert ist. Wer Sprachkenntnisse, Berufserfahrung und Deutschlandbezug nachweisen kann, erhält Punkte. Auch das Alter spielt eine Rolle. Wer ausreichend Punkte hat, darf auch ohne konkretes Arbeitsangebot einreisen und auf Jobsuche gehen. Eine weitere Änderung gibt es beim Familiennachzug. Wer als hochqualifizierte Fachkraft aus einem Nicht-EU-Land herkommt, soll in Zukunft nicht nur Ehepartner und Kinder mitbringen dürfen, sondern auch Eltern und Schwiegereltern. Der Lebensunterhalt für die Angehörigen muss aber gesichert sein, Sozialleistungen können sie nicht beantragen. Nun kommt es auf die Verwaltung an: So soll etwa die Visumvergabe in Botschaften oder die Anerkennung von Abschlüssen schneller gehen.

Welche neuen Möglichkeiten gibt es für Asylbewerber?

Eine Kritik der Vergangenheit lautete: Wir schieben die Falschen ab. Tatsächlich gibt es immer wieder Fälle, in denen Menschen das Land verlassen müssen, weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde, sie aber gut integriert waren und eine Arbeit hatten. Künftig können Asylbewerber, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind und eine Qualifikation sowie eine Arbeitsstelle haben, eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen – sofern sie ihren Asylantrag zurückziehen („Spurwechsel“). Bisher mussten sie erst ausreisen und aus dem Ausland ein Arbeitsvisum beantragen. Das dauerte oft Monate.

Noch immer viele Schlaglöcher

Wie fallen die Reaktionen aus?

Kanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich sehr zufrieden: „Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland und muss es auch bleiben. Um unseren Wohlstand zu sichern, setzen wir auch auf qualifizierte Einwanderung.“ Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, Deutschland bekomme „das modernste Einwanderungsrecht der Welt“. Alexander Throm (CDU), der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, sagte unserer Redaktion hingegen: „Die Ampel feiert sich für eine Reform der Fachkräftemigration, dabei senkt sie hauptsächlich bloß die Anforderungen an die Qualifikation.“ Das führe vor allem zur Zuwanderung von Niedrigqualifizierten. Auch den „Spurwechsel“ von Asylbewerbern kritisiert die Union.

Die Industrie betrachtet das Gesetz eher mit Wohlwollen. „Angesichts der Alterung der Gesellschaft wird der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften eine der wesentlichen strukturellen Herausforderungen für die Unternehmen in Zukunft bleiben“, sagte DIHK-Konjunkturexperte Ilja Nothnagel. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich, deutete an, dass ihm die Reform nicht weit genug gehe: Die Einwanderung sei für Menschen noch immer „mit zu vielen Beschwernissen und Schlaglöchern“ gepflastert.