Ein Besuch von Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat für die Backnanger Weltfirma am Mittwoch den Wechsel in ein neues Zeitalter eingeläutet. Erstmals laufen die Satelliten in Serie vom Band.
Mit einem lautstarken Countdown hat der Satellitenbauer Tesat am Mittwoch am Stammsitz in Backnang seine neue Serienproduktion für Laserterminals in Betrieb genommen. Gemeinsam mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und dem Backnanger Oberbürgermeister Maximilian Friedrich drückte der für einen massiven Wachstumskurs der schwäbischen Hightech-Firma stehende Tesat-Chef Thomas Reinartz im neu erbauten Reinraum-Labor am Ufer der Murr auf einen roten Knopf.
Der symbolische Akt startete zwar keine Weltraumrakete, setzte aber einen kleinen Satelliten in um die eigene Achse rotierende Drehbewegungen – und soll den Aufbruch der 1100 Mitarbeiter zählenden Firma in ein neues Unternehmenszeitalter markieren. Bisher steht Tesat, noch vor wenigen Jahren wegen hoher Produktionskosten um ein Haar ins wirtschaftliche Aus geschlittert, für qualitativ hochwertige Arbeit bei vergleichsweise bescheidenen Stückzahlen. Der knapp 25 Millionen Euro teure Erweiterungsbau, zum Schutz vor Hochwasser auf Stelzen gesetzt, soll nun eine industrielle Fertigung beherbergen und die Produktionsquote deutlich in die Höhe treiben. Bis zu 100 optische Komponenten sollen in Backnang künftig monatlich vom Band laufen – eine Verfünffachung der bisherigen Stückzahlen.
Bis zu 100 Optik-Komponenten sollen monatlich vom Band laufen
Für die 1100 Beschäftigten der Airbus-Tochter bedeutet der neue Kurs eine Komplettumstellung der altbewährten Arbeitsabläufe. Von einer stark manuell geprägten Fertigung geht es bei Tesat in eine stark automatisierte Serienproduktion. „Handarbeit kann es nur noch bei Laserterminals geben, die mit auf den Mars fliegen – für den Standardeinsatz wäre das Produkt sonst zu teuer“, sagt Manager Thomas Reinartz. Bisher läuft die Produktion aktuell noch im Zwei-Schicht-Betrieb, für eine dritte Linie fehlt nicht zuletzt das nötige Personal.
Auch deshalb war es für den Backnanger Betrieb bedeutend, zur Eröffnung des dreistöckigen Erweiterungsbaus den Ministerpräsidenten persönlich begrüßen zu dürfen. „Wir benötigen 200 neue Mitarbeiter – schon deshalb ist es wichtig, dass über Tesat auch geredet wird“, drückt es der Firmenchef aus. Die räumlichen Voraussetzungen für den Ausbau der Produktion hat die Firma mit der Erweiterung an der Gerberstraße geschaffen. Auf drei Stockwerken steht gut zwei Jahre nach Baubeginn eine zusätzliche Nutzfläche von 4400 Quadratmetern zur Verfügung.
Ein OP-Saal ist mit 7500 Partikeln vergleichsweise schmutzig
Mit Blick auf die Hygienestandards, die für die Produktionsstraßen in Reinraumtechnik gelten, ist die überschaubar kurze Bauzeit eine rekordreife Leistung. Wenn es um die Sauberkeit für den Bau von Satellitentechnik geht, können andere Branchen einpacken. Selbst ein auf Hochglanz gewienerter OP-Saal in einem Krankenhaus ist im Vergleich zu den Vorgaben, die bei der Iso-8-Norm für die Produktion gelten, die reinste Dreckschleuder. „Bei uns darf es pro Kubikmeter Luft ein Partikelchen geben. Im OP-Saal sind es etwa 7500“, bringt es der Tesat-Sprecher Christopher Busch auf den Punkt.
Produziert wird Hightech für die Raumfahrt in Arbeitsbereichen, die nicht nur zugangsgeregelt und hermetisch abgeschottet sind, sondern auch ganzjährig die gleiche Temperatur und Luftfeuchtigkeit haben müssen. Über ein gigantisches Filtersystem wird einmal pro Stunde auch die komplette Raumluft ausgetauscht. Vor Dienstantritt wird bei der Zugangskontrolle auf eine vollständige elektrostatische Entladung geachtet, die kurz vor Schichtbeginn gerauchte Kippe ist ebenso untersagt wie Make-up oder ein am Arbeitsplatz verspeistes Käsebrot.
Stickstoff und Argon sind für den Test der Bauteile nötig
Schließlich kann schon ein einziges Staubkorn auf der Linse die Kommunikation zwischen zwei Satelliten unmöglich machen – und die Datenübertragung per Laser ins Nirwana beamen. Um die technische Infrastruktur für den Reinraum-Standard im Neubau unterzubringen, wurde an der Gerberstraße mit fünf Meter hohen Decken geplant. Gut ein Drittel vom neu geschaffenen Platz geht für die hinter doppelten Böden versteckten Filtersysteme drauf, die gereinigte Luft wird unten abgesaugt und oben wieder in den Raum eingeblasen.
Außerdem sind neben Stromkabeln und Wasserleitungen noch Rohre für Druckluft, Stickstoff und Argon verlegt, die für die Tests der Bauteile benötigt werden. Bevor ein Kommunikationssatellit an den Kunden ausgeliefert wird, wird er nicht nur gerüttelt und geschüttelt, er muss auch eine Temperaturdifferenz von 20 Grad unterm Gefrierpunkt bis 80 Grad Hitze und einen Aufenthalt im Vakuum überstehen. Sind die Produkte erst einmal in die Erdumlaufbahn gefeuert, können sie nicht mehr repariert werden. Mit das größte Problem sind die beim Raketenstart auftretenden Vibrationen und der Schalldruck – halten die Bauteile nicht stand, funktioniert das Geldabheben am Bankomaten ebenso nicht wie die millimetergenaue Vermessung von Gletschern.