Sedia Kijera ist verzweifelt. Er möchte wieder in Kirchheim im Kreis Ludwigsburg arbeiten – doch im Moment sieht es nicht gut aus. Foto: privat

Der Landtagsabgeordnete der CDU im Wahlkreis Bietigheim-Bissingen, Tobias Vogt, spricht sich gegen eine Einreise von Sedia Kijera aus. Tayfun Tok von den Grünen unterstützt sie hingegen und kritisiert das Vorgehen der Behörden als „kleinkariert“.

Noch liegt Sedia Kijeras Anwalt nichts Schriftliches aus dem Justizministerium vor. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass der Altenpflegehelfer aus Kirchheimam Neckar nicht wieder nach Deutschland einreisen darf. Die 30 000 Euro Kosten für die Abschiebehaft in Pforzheim und sein Eintrag ins Bundeszentralregister scheinen unüberwindbare Hürden zu sein.

Beides wiegt offenbar schwerer als Kijeras Entwicklung in den vergangenen Jahren. Seine abgeleistete Bewährungsstrafe, seine Integration, seine Ausbildung und der Fakt, dass die Arbeiterwohlfahrt (Awo) seine Arbeitskraft schätzt und braucht. Wie groß der Personalmangel in der Pflege ist, zeigt ein Blick in den Nachbarkreis Rems-Murr. Bereits im Sommer 2023 hat in Berglen ein Heim dicht gemacht, jetzt folgt das nächste in Lorch – beides Mal wegen fehlenden Personals.

Der verzweifelte Kijera sitzt seit Monaten im afrikanischen Gambia fest und ist dort in seiner Unterkunft auch schon überfallen worden. Wie positionieren sich die beiden Landtagsabgeordneten im Wahlkreis Bietigheim-Bissingen in dem Fall, der viele Menschen im Landkreis und darüber hinaus beschäftigt? Wenig überraschend stellt sich Tobias Vogt (CDU) hinter das von seiner Partei geführte Ministerium. Das Chancenaufenthaltsgesetz biete abgelehnten Asylbewerbern, die gut in Deutschland integriert seien, ein Bleiberecht – allerdings unter der Voraussetzung, dass sie nicht straffällig geworden sind. Wenn Gesetze mehrfach deutlich missachtet würden, könne es keine Bleibeperspektive geben, sagt er.

Der Abgeordnete, der selbst in Kirchheim lebt und Kijeras Unterstützer kennt, beruft sich auf das Urteil des Amtsgerichts Backnang im Jahr 2020. Damals wurde der Gambier wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. In der Urteilsbegründung bescheinigte ihm der Richter „eine positive Sozial- und Kriminalprognose“. Doch Vogts Haltung ist klar: „Das ist kein Kavaliersdelikt und liegt deutlich oberhalb der Grenze, für die es einen Ermessensspielraum bei Abschiebungen gibt“, erklärt Vogt. Allerdings wurden bei Kijera nie Drogen gefunden. „Sedia hatte zugegeben, sich einmal im Monat mit Kumpels zum Konsum getroffen zu haben. Das wurde hochgerechnet. Als Beweis dienten Whatsapp-Chats“, erklärt Dani Lehmann, seine Chefin im Pflegeheim in Kirchheim. Von seinem damaligen Anwalt sei ihm geraten worden, sich schuldig zu bekennen, um dem Gefängnis und einer sofortigen Abschiebung zu entkommen. „Er wurde einfach falsch beraten“, sagt Lehmann.

Sedia Kijera wartet in Gambia auf positive Nachrichten aus seiner „Herzensheimat“. /privat

Dem Nein von Vogt steht ein Ja von Tayfun Tok (Grüne) gegenüber. Bereits Mitte Januar kritisierte er das Vorgehen der Ausländerbehörden. Immer wieder würden Menschen abgeschoben, die bereits Arbeit und Wohnung gefunden hätten, in Unternehmen anpacken. „Um Erfolge in der Statistik über Abschiebungen erreichen zu können, wenden sich die Behörden den vermeintlich einfachen Fällen zu. Das trifft die gut Integrierten, die täglich zur Arbeit gehen.“

Allerdings folgte Tok dennoch bei der Schlussabstimmung im Landtag der Empfehlung des Petitionsausschusses und der Härtefallkommission. Beide hatten sich gegen einen Verbleib Kijeras ausgesprochen. Ein Widerspruch in Wort und Tat, den der Abgeordnete nicht abstreitet. „Ich bin damals der Koalition gefolgt. Ich gebe zu, das wirkt nicht glaubwürdig“, räumt er ein.

Aktuell versuche er jedoch in Gesprächen zu überzeugen, betont Tok. Das Vorgehen der Behörden wirke sehr kleinkariert. Zweifelsohne habe ein bewiesener Rechtsbruch Konsequenzen. Allerdings müsse Politik in der Lage sein, Prioritäten zu setzen. In diesem Fall wirke das positive Tun des Altenpflegehelfers vor Ort bei weitem mehr als die vergangenen Taten. Kijera sei ein gutes Bespiel für einen Mann, der seine zweite Chance genutzt hat. „Es wäre falsch, ein politisches Klima, welches die negativen Aspekte von Migration überbetont, zur Handlungsmaxime zu machen. Ich wünsche mir, dass ihm eine Einreise gestattet wird. Ebenso wie eine überwältigende Allianz vom Handwerksmeister bis zu Kirchenvertretern neben mir, die Kijera wirklich kennen.“

Sedia Kijera bei der Arbeit im Kirchheimer Pflegeheim. Foto: Simon Granville

Das Landratsamt Ludwigsburg teilt diesen Wunsch. Und die Behörde sieht eine Rückkehr durch die Gesetzeslage gedeckt. Die Normen des Aufenthaltsrechts, die in diesem Fall relevant seien, würden in verschiedenen Urteilen unterschiedlich interpretiert, betont Behördensprecher Andreas Fritz. Anders als das Ministerium sehe das Landratsamt jedoch kein Ausweisungsinteresse.

Ein solches liegt unter anderem vor, wenn der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet. Wenn erneut eine Straftat begangen oder die Gesellschaft gefährdet wird. Bei besonders schwerwiegenden Straftaten sollen beispielsweise Nachahmer durch eine Ausweisung abgehalten werden.

Die Gerichte, so Fritz, äußern sich nicht einheitlich dazu, ob bei Vorliegen einer „hinreichend schweren Straftat“ automatisch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und damit ein Ausweisungsinteresse bestehe, oder ob und unter welchen Umständen der Einzelfall durch die Behörde genauer betrachtet werden müsse. Das Landratsamt sei jedoch mit dem Verwaltungsgerichtshof der Auffassung, dass, was die Gefahr für die öffentliche Sicherheit angehe, eine Prognose zu erstellen sei, die insbesondere die Schwere der Tat und die Wiederholungsgefahr berücksichtige. „Diese Prognose fiel bei Herrn Kijera negativ aus.“

Landratsamt spricht sich für Einreise aus

Darüber hinaus könne ein Ausweisungsinteresse nicht „automatisch“ angenommen werden, sondern müsste nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. Juli 2018 ermittelt werden, betont Fritz. Und da spiele eine Rolle, wie lange die Straftat zurückliege. „Bei Herrn Kijera läuft die Verjährungsfrist rechnerisch 2024 ab, weshalb vom Landratsamt entsprechende Erwägungen angestellt wurden. Dabei kamen wir zu dem Ergebnis, dass bei ihm kein Ausweisungsinteresse besteht.“