„Ich bin immer aufgeregter als die Bands“, sagt Werner Hassler, der seit 25 Jahren das Programm in der Schorndorfer Manufaktur macht. Foto: Robin Hacker

In der Manufaktur in Schorndorf führt Werner Hassler erfolgreich vor, wie man der Provinz das Provinzielle abtrainiert. Und das schon seit 25 Jahren.

Diese Geschichte spielt nicht in den hektisch pulsierenden urbanen Zentren. Sie erzählt nicht von einem Rockschuppen wie dem New Yorker CBGB’s, das zwischen Wolkenkratzer gepresst mitten im Epizentrum der Subkultur genau dieser eine Bühne bietet. Der Ort, von dem diese Geschichte handelt, scheint maximal weit entfernt zu sein von Sex, Drugs & Rock’n’Roll, von den Hipster-Hochburgen, die ständig neue Musikerinnen und Musiker hervorgespült werden, die davon träumen, mal so groß wie Radiohead, PJ Harvey oder Nick Cave zu sein – und Schlange stehen, um eingelassen zu werden, in einen Club, der die Eintrittskarte zu Weltruhm und Erfolg ist.

Manufaktur Schorndorf – einer der besten Clubs in Deutschland

Die Geschichte spielt in einer Stadt, die von Wäldern und Flüssen eingeschlossen wird. Jedes AC/DC-Konzert hat mehr Besucher als diese Stadt Einwohner. Und dass hier über diese Stadt erzählt wird, hat nichts damit zu tun, dass es dort schöne alte Fachwerkhäuser gibt, dass dort Gottlieb Daimler geboren wurde oder dass dort die erste Birkel-Nudelfabrik stand, sondern dass es dort einen Club gibt, der zu den wichtigsten und besten Clubs in der bundesdeutschen Clublandschaft zählt. Die Stadt heißt Schorndorf. Der Club heißt Manufaktur. Der Mann, der seit 25 Jahren für das Manufaktur-Programm verantwortlich ist, heißt Werner Hassler. Und das ist seine Geschichte.

„Ich bin immer aufgeregter als die Bands“, verrät Hassler bei einem sehr langen Gespräch voller Musikgeschichten, Anekdoten und Backstage-Storys, von denen die eine oder andere nichts in der Zeitung verloren hat. Früher habe er immer gedacht, dass seine notorische Nervosität eine Schwäche sei. Hektisch wird er vor allem immer dann, wenn sich der Club, in dem 500 Menschen Platz haben, nur spärlich füllt. „Ich renne dann hundertmal in den Saal, zähle die Leute und denke: Wo bleibt der Bus mit den Leuten?“ Doch es war Kinky Friedman, der ihm klarmachte, dass dieses Aufgeregtsein in Wirklichkeit eine Gabe ist: Als der kauzige Countrymusiker und Autor einmal in Schorndorf zu Besuch war und Hassler wieder mal hin und her rannte, stupste Friedman die damalige Manufaktur-Vereinsvorsitzende Sabine Reichle an: „Ist der immer so?“ Und als die „Ja“ antwortete, sagte er: „That’s good man: You’re still on fire!“

Dolly Partons Jacuzzi und Mark E. Smiths Whisky in der Manufaktur

Tatsächlich merkt man ihm das Feuer auch an, wenn er von seiner Arbeit erzählt. Davon, wie er einst seinen Helden John Cale von Velvet Underground vom Flughafen abholte und bei diesem gleich in Ungnade fiel, weil er rauchte. Davon, wie lange es dauerte, bis seine Chefin und er herausfanden, was die grünen oder weißen Socken wirklich bedeuten, die oft unten auf die Konzert-Rider gemalt sind, in denen Bands spezifische Anforderungen für ihren Auftritt auflisten. Davon, wie eine norwegische Band mal den Nightliner von Dolly Parton hinter der Manufaktur parkte und er sich selbst überzeugen konnte, dass es darin einen Jacuzzi gibt.

Man möchte ihm stundenlang zuhören, wenn er davon erzählt, wie Mark E. Smith von The Fall sich mit einer Flasche Glenfiddich ins Büro setzte, weil er eine Auszeit von seiner Band haben wollte und in seinem kaum verständlichen nordenglischen Dialekt eine Story nach der anderen erzählte. Davon, wie der Folkmusiker John Smith versehentlich in seinem Hotel eingeschlossen wurde. Davon, wie Hassler Daniel Johnston, der nach gerade einmal 20 Minuten seinen Auftritt ohne Zugabe beendete, vergeblich anflehte, noch einmal auf die Bühne zu kommen und der nur sagte „Ich kann nicht mehr!“

Anfänge im Club Alpha 60 in Schwäbisch Hall

Erschüttert fällt Hassler zwar zwischendurch auf, dass die meisten Menschen, von denen er erzählt, inzwischen tot sind. Damit aber kein Missverständnis aufkommt: Die Manufaktur gab es schon lange, bevor dort Werner Hassler im Jahr 2000 anfing. Er kam im Jahr 1967 in der Woche zur Welt, in der Geselligkeitsverein Club Manufaktur gegründet wurde. Dieser war erst in einer ehemaligen Porzellanmanufaktur zu Hause und zog im Jahr 1993 im Hammerschlag ein. Der Club verstand sich immer schon als Zuhause für die alternative Kulturszene. Hier waren zum Beispiel schon Albert Mangelsdorf, Black Sabbath oder Ton Steine Scherben zu Gast.

In seinem früheren Leben arbeitete Hassler beim Schraubenhersteller Würth, organisierte aber schon zu Hause in Schwäbisch Hall im Club Alpha 60 seine ersten Konzerte. Und als er einmal Tickets für ein Konzert von Yo La Tengo in Schorndorf kaufen wollte, entdeckte er auf der Manufaktur-Homepage die Stellenausschreibung für einen Programmmacher: „Da dachte ich: Wow, die suchen mich!“ Und so kam’s, wie es kommen musste.

Wie war das mit den White Stripes in der Manufaktur Schorndorf?

Thurston Moore von Sonic Youth im Jahr 2012 Foto: Stoppel

 Zu den Künstlern, die Hassler in seinen ersten Jahren nach Schorndorf geholt hat, zählen so großartige Acts wie:

  • Giant Sand,
  • Camper van Beethoven,
  • Interpol,
  • Paul Weller,
  • Henry Rollins – oder The White Stripes.

Jack und Meg White traten bei ihrer „White Blood Cells“-Tournee am 7. März 2002 in der Manufaktur auf, kurz bevor sie ganz groß werden sollten und ein Jahr bevor sie mit dem Song „Seven Nation Army“ unabsichtlich einen der größten Fußballstadionhits aller Zeiten veröffentlichen sollten.

„Die kamen aus Frankreich angereist und waren komplett durch“, erinnert sich Hassler, „das war ziemlich traurig anzusehen: Die hatten zwei Garderoben und sprachen kein Wort miteinander.“ Eine Sache hat er Jack White bis heute aber nicht verziehen. Weil er viele Jahre bei Radio StHörfunk die Sendung „Verstärker“ moderierte, bat er in der Manufaktur auftretende Musikerinnen und Musiker immer um Station-IDs, also darum ins Mikrofon Sätze zu sagen wie „Hi, I’m Paul Weller, and you’re listenting to StHörfunk.“ Und der einzige, der ihm in all den Jahren die Aufnahme verweigerte, war Jack White.

Dreimal wir Manufaktur mit Applaus-Award ausgezeichnet

Obwohl der Auftritt im März 2002 nicht das allererste Konzert war, dass The White Stripes in Deutschland gaben (sie hatten 2001 schon in Köln, Hamburg, Berlin und München zu spielen), so war das doch einer von vielen Coups, die Hassler gelandet hat. Er ist eigentlich ein Musiknerd, der von ziemlich abstrusen Bands schwärmt, von denen man als Normalverbraucher bestenfalls schon mal den Namen, meistens aber noch nie etwas gehört hat.

Wer nur Mainstream-Pop mag, ist hier falsch. Trotzdem – oder gerade deshalb – wurde die Manufaktur schon dreimal mit dem Applaus-Award für unabhängige Musikclubs ausgezeichnet. Hassler ist dabei für alles zuständig, was hier auf der Bühne passiert. Das heißt, er organisiert auch Lesungen und ein ambitioniertes Jazzprogramm, bei dem Free-Jazz einen Schwerpunkt bildet: „Mit dem Pop finanziere ich den Jazz“, sagt er und schwärmt von Musikerinnen und Musikern, die sich für Jazz entscheiden, obwohl sie wissen, dass damit kein Geld zu verdienen ist: „Das ist radikal und verdient Respekt.“

Tourfahrplan Berlin, Köln, Hamburg – Manufaktur in Schorndorf

Vor allem aber mit seinem ausgesuchten Musikgeschmack und seinem Gespür für interessante Bands hat Hassler die Manufaktur zum coolsten Club Stuttgarts gemacht. Dass dieser gar nicht in Stuttgart ist, darf als nebensächlich erachtet werden. Wer sich für Pop- und Rockmusik der anspruchsvollen Sorte interessiert, wird jedenfalls oft feststellen, dass auf dem Tourfahrplan seiner Lieblingsband neben Berlin, Köln und Hamburg sehr oft Schorndorf und eben nicht Stuttgart steht. Zum Beispiel bei:

  • King Hannah,
  • Joan as Police Woman,
  • Porridge Radio,
  • Destroyer,
  • Julien Baker,
  • Mark Lanegan,
  • Idles,
  • Amyl and the Sniffers
  • Spoon

Hassler behauptet zwar, dass es ihm, wenn er Bands bucht, nicht darum geht, Bands zu entdecken, die später durchstarten, aber irgendwie hat er ein Händchen dafür, die Indie-Superstars von morgen zu finden. „Ich wünsche mir, dass Bands, die ich buche, groß werden, aber das ist kein Kalkül. Mich interessiert, was spannend ist.“

Warum Die Nerven in der Manufaktur Freikarten für immer haben

Und manchmal ist er seiner Zeit voraus. Etwa bei den Nerven. Das erste Konzert, dass das Trio in der Manufaktur gab, war ein Reinfall. Hassler buchte die Band, als gerade Musikmagazine wie „Spex“ einen Hype um den neuen Stuttgarter Sound machten. Doch im Vorverkauf ging überhaupt nichts. „Ich dachte: clever, ich buche noch eine Schorndorfer Band dazu“, sagt Hassler, „das Ergebnis: deren Leute gingen nach dem Auftritt, und ich stand mit den Nerven im einstelligen Bereich da. Was danach mit den Nerven passierte, ist eine andere Geschichte.

Aber weiterhin riskiert Hassler lieber, dass ein Abend floppt, als Belanglosigkeiten auf die Bühne zu bringen. Der Autor und Musiker Thomas Meinecke hat ihm eines der schönsten Komplimente überhaupt gemacht: „Ihr habt euch erfolgreich Provinzialität abtrainiert.“ Und auf Platz zwei der Komplimente-Liste könnte ein Satz von Howe Gelb von Giant Sand stehen: „Bei euch fühlt’s sich immer an wie ein Day Off.“

Das hat zwar auch damit zu tun, dass Werner Hassler und sein Team die Künstler backstage immer in Ruhe lassen und niemals irgendwelche Wichtigtuer zu ihnen durchlassen. Aber dann doch auch damit, dass die Manufaktur eben nicht in einer Metropole wie Berlin, Hamburg oder Köln steht, sondern zwischen Flüssen und Wäldern im idyllischen Schorndorf.