Ob Hubert Kuhn Fahrrad fährt, zum Einkaufen oder auf Reisen geht: Ara Richie ist immer auf seiner Schulter zu finden. Die meisten, die den beiden begegnen, sind fasziniert von dem ungewöhnlichen Paar. Kurios: Für Kuhn ist Richie ist ein besonderer Türöffner.
Wenn Hubert Kuhn mit seinem Haustier „Gassi geht“, wie er es nennt, fällt er auf wie ein bunter Hund – oder vielleicht sollte man die Redensart in seinem Fall abwandeln und sagen: Wie ein bunter Vogel. Genauer gesagt, wie ein stattlicher Gelbbrustara. So einer sitzt nämlich, mit einer leichten Leine am Fuß gesichert, auf seiner Schulter. Egal, ob Kuhn einen Ausflug macht oder mit dem Bus von Ochsenbach zum Einkaufen nach Sachsenheim fährt – Ara Richie ist mit dabei. Vorausgesetzt, die Temperaturen erlauben es. „Wenn es kälter als 16 Grad ist, bleibt er lieber daheim“, erzählt Kuhn. Da reicht Richie schon ein kurzer Ausflug auf den Balkon, um festzustellen, dass es in der Wohnung angenehmer ist.
Richie darf so sein, wie er ist
Seit drei Jahren verbindet Hubert Kuhn und Richie eine ebenso ungewöhnliche wie enge Beziehung. „Ich bin für ihn sowohl der Partner als auch der Baum auf zwei Beinen“, schmunzelt der 79-Jährige, der früher katholischer Pfarrer war und heute Zen-Meister ist. Christliche Meditation im Stil des Zen sei, davon ist Kuhn überzeugt, auch der Grund dafür, warum die Bindung zwischen den beiden „sehr, sehr eng“ ist. „Zur Meditation gehört, ein anderes Geschöpf voll und ganz anzunehmen. Richie darf sich selbst leben“, erklärt er. Denn: „Für mich ist dieses Wesen in seiner Struktur nichts anderes als ich es bin.“
Wenn der Gelbbrustara mit seinem scharfen Schnabel oder seinen großen Schwingen mal etwas kaputt macht, ist das kein Drama für Kuhn. Andererseits akzeptiere der Vogel auch, dass der Mensch der Chef sei. „Wenn er ein schlechtes Gewissen hat, senkt er den Kopf“, erzählt der Ochsenbacher. Wenn er ihm sage, er solle auf seinen Baum gehen, mache er das auch. Und wenn er abends, während Kuhn meditiert, ausnahmsweise in den Käfig müsse, könne er schnell „loslassen“ und sei ganz ruhig, selbst wenn er vorher noch ganz aufgedreht gewesen sei.
Der Vogel macht sich auf vielerlei Arten verständlich
Für den Ara muss das Leben bei Kuhn das Paradies auf Erden sein. Nachdem er „irgendwo im Harz“ aus dem Ei geschlüpft war, verbrachte er das erste halbe Jahr seines Lebens bei einer Familie, die mehrere Tiere gehabt habe. Der Papagei saß dort allerdings nur im Käfig und wurde „immer trauriger und immer böser“, berichtet Kuhn. Und da er in jungen Jahren schon einmal einen Amazonenpapagei gehabt hatte, war für ihn klar, dass der Ara künftig bei ihm leben würde und so wenig Zeit wie möglich im Käfig verbringen sollte. „Man hat richtig gemerkt: Er freut sich“, erinnert sich Kuhn – was Richie übrigens durch heftiges Kopfnicken äußere. Spreize er die Flügel, bedeute das „Hallo“. Und – das ist für jeden leicht verständlich – legt er den Kopf schief und fixiert sein Gegenüber, bekundet das sein Interesse. Keinerlei Scheu zeigt er vor dem Hund des Besuchs. Die beiden begrüßen sich ganz vorsichtig Schnabel an Nase.
Eigentlich müssen die prächtigen Papageien paarweise gehalten werden. Da in diesem Fall Mensch und Vogel aber fast immer rund um die Uhr zusammen sind, wird das von den Behörden auch akzeptiert. Wenn Hubert Kuhn ausnahmsweise einmal alleine weg muss und nach spätestens zwei oder drei Stunden wieder nach Hause kommt, begrüßen sich die beiden mit einem Pfiff. Und wenn sein Chef kocht, taucht der schlaue Vogel in der Küche auf und sagt kess: „Da gibt’s noch was.“ Hat er Durst, meldet er sich mit „Richie Wasser“. „Er benutzt die Worte in den Situationen, in denen er sie gelernt hat“, erklärt Kuhn.
Gelegenheiten zum Beutemachen werden genutzt
„Verstehen tut man’s nicht immer, was er sagt“, räumt der Ochsenbacher ein, „aber der Tonfall stimmt exakt.“ Und wenn sie morgens drei Stunden lang zusammen im Wald unterwegs seien, pfeife und tiriliere der Ara die ganze Zeit vor lauter Begeisterung. Die einzige Leidenschaft, die er nicht ausleben darf, ist die für Schokokekse. „Die sind nicht gut für ihn“, sagt sein Chef. Was Richie nicht daran hindert, in einem unbeobachteten Moment einen zu klauen, nachdem er sich vorsichtig von seinem Baum über die Sessellehne an den Tisch herangepirscht hat. Den Deckel der Messingteekanne, den er wenig später erbeutet, darf er dagegen vorerst behalten.
Und wie reagieren andere Menschen auf das ungewöhnliche Paar? „90 Prozent sind fasziniert“, sagt Kuhn. Mehr noch: Dank Richie öffneten sich sogar sonst verschlossene Türen. Beispielsweise beim Fahrradhändler, der Räder eigentlich nur dann repariere, wenn sie auch bei ihm gekauft worden seien. „Mit Richie auf der Schulter war das auf einmal gar kein Thema mehr.“ Die Schaffner im Zug seien nach der Fahrkartenkontrolle schon wieder zurückgekehrt, um ein Foto zu machen. Auch mit den anderen Passagieren komme man ganz schnell ins Gespräch. „Mehr noch: Da werde ich zum Seelsorger; die Leute erzählen mir alles“, sagt Kuhn mit einem leichten Schmunzeln. Und dann, nachdenklicher: „Ich glaube, viele wünschen sich auch eine so intensive Beziehung, wie sie mich und Richie verbindet.“ In den Menschen stecke eine tiefe Sehnsucht, mit sich, dem Partner und der Welt im Reinen zu sein.
Nun ist Richie erst dreieinhalb Jahre alt und Kuhn zwar ungewöhnlich fit für sein Alter, aber eben schon fast achtzig. Da ist es ziemlich klar, dass der Ara, der bis zu sechzig Jahre alt werden kann, ihn überleben wird. Was wird dann aus dem Vogel, wenn er seinen Lebenspartner verliert? „Wenn ich merke, dass es nicht mehr geht, soll er ein Weibchen bekommen“, hat Hubert Kuhn schon heute entschieden.
Wissenswertes über Gelbbrustaras
Stattlich und farbenprächtig
Gelbbrustaras werden inklusive der langen Schwanzfedern bis zu 90 Zentimeter groß. Ihren Namen haben sie von der goldgelben Farbe an Brust und Bauch. Auch die Unterseite der Flügel und Schwanzfedern ist gelb bis grün, Nacken, Rücken und Flügeloberseite sind leuchtend blau, der Schnabel schwarz.
Herkunft
Die Vögel stammen ursprünglich aus Südamerika, wo sie mehrere Länder besiedeln, außer jene ganz im Süden. Sie leben in tropischen oder subtropischen Wäldern entlang der Flussläufe, aber auch in offenen Halbsavannen. Es ist verboten, die Tiere zu importieren. Die hier gehaltenen Aras stammen aus deutschen Zuchten, was auch nachgewiesen werden muss.