Überzeugender Vorreiter: Klaus Zehelein (Foto von 2010) Foto: /Patrick Seeger

Über 15 Jahre lang hat er der Staatsoper Stuttgart als Intendant ein dramaturgisches Fundament verpasst – und die Überzeugung, dass Musiktheater für unsere Gesellschaft überlebensnotwendig ist. An diesem Samstag wird Klaus Zehelein 80.

Stuttgart - Als Intendant in Stuttgart, 1991 bis 2006, war er ein Mann der großen Emotionen, der großen Behauptungen und der großen Gedanken. Er konnte ebenso wütend sein wie hingerissen, beides bis in Extreme hinein, gerne mit einem Glas Wein oder Whisky in der Hand und meist mit einer Zigarette zwischen den Fingern; er konnte sich aufregen über Missstände im Kunst- wie im Politikbetrieb, konnte für seine Herzenskunst, das Musiktheater, kämpfen wie ein Löwe. Und er hat nie verstanden, wie man auch nur auf die Idee kommen konnte, die öffentliche Finanzierung von Kunst als Subvention zu bezeichnen. Schließlich sei Kultur ein Überlebensmittel für die Gesellschaft – deshalb hänge nicht etwa die Kunst am Tropf der Gesellschaft, sondern umgekehrt die Gesellschaft am Tropf der Kunst.

Schimpftiraden gegen Quoten

„Kunst muss sein“, das war so ein Zehelein-Satz, im oft zigarettenrauchvernebelten Intendantenzimmer gesagt mit kratziger, aber fester Stimme. Wer ihn dort hörte, vergisst ihn nicht, und er wird sich auch an Schimpftiraden des Intendanten erinnern: zum Beispiel gegen alles, was heute Event heißt und Quote bringen soll. „Kultur“, auch dies ein Zehelein-Memento, „ist immer Risiko, und wer ein Risiko eingeht, wird Kraft daraus schöpfen.“

Dabei war Klaus Zehelein kein Alleinherrscher. Er hat in Stuttgart eine Opern-Ära geprägt, die auf das Zusammenspiel der Kräfte setzte. Er hat Jossi Wieler zur Oper und mit Sergio Morabito als dramaturgisch denkendem Ko-Regisseur zusammengebracht, und so hat Wieler als sein Nach-Nachfolger (2006 übernahm zunächst Albrecht Puhlmann) Zeheleins Ägide noch eine Coda angefügt. Vor allem mit seiner Idee, Wagners monumentalen „Ring“-Vierteiler vier unterschiedlichen Regisseuren anzuvertrauen, hat Zehelein Geschichte geschrieben – auch weil dieses Konzept einer multiperspektivisch gewordenen Welt entsprach. Sechs Mal wurde die Staatsoper während seiner Amtszeit zum „Opernhaus des Jahres“ gewählt. Und Zehelein hat – 1997 – mit der Gründung der Jungen Oper einen viel kopierten Prototypen in die Kunstwelt gesetzt. Auch und gerade Kinder und Jugendliche, so die Überzeugung des Intendanten, seien als Publikum nicht etwa naiv zu bespaßen, sondern im Gegenteil überaus ernst zu nehmen.

Von aufregenden Zeiten in Frankfurt und Stuttgart nach Berlin

Der studierte Germanist, Musikwissenschaftler und Philosoph, in seinem Denken spürbar ein Spross der Frankfurter Schule Theodor W. Adornos, erregte vor seiner Stuttgarter Intendanz Aufsehen vor allem als Chefdramaturg und Operndirektor an den Städtischen Bühnen Frankfurt, wo er gemeinsam mit dem Dirigenten Michael Gielen und der Regisseurin Ruth Berghaus einen hoch konzentrierten, ins Symbolische und Abstrakte gebogenen „Ring“ realisierte. Und nach seinem Abschied aus Stuttgart 2006 koordinierte Klaus Zehelein als Präsident der Bayerischen Theaterakademie in München die Ausbildung junger (Musik-) Theaterschaffender vom Bühnenbildner und Sänger bis hin zum Regisseur.

Nebenbei blieb er (bis 2015) Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Dieser Posten des Mahnenden, Wetternden, Erinnernden war wie für ihn geschaffen. Das Theater, forderte er, müsse „Gedächtnisraum, nicht nur Spielraum“ sein. Und „Ohne Frau Netrebko“, hat er einmal markig behauptet, „wäre die klassische Musik nicht untergegangen. Die Quote wäre gesunken – aber ist das schlimm?“

An diesem Samstag feiert Klaus Zehelein, der seit 2014 auch deshalb in Berlin lebt, weil es ihm dort nicht langweilig werden kann, seinen 80. Geburtstag. Wir gratulieren mit bereichertem Geist und entflammtem Herzen.