Im Zentrum des Drogenskandals: das Polizeipräsidium in der Münchner Innenstadt Foto: dpa/Peter Kneffel

Mindestens 100 Mal hat der 35-jährige Beamte Drogen bei seinem Dealer gekauft. Das gibt er vor Gericht zu. Nun muss er in eine geschlossene Entziehungsanstalt.

Ginge es nach dem angeklagten Münchner Polizisten, dann könnte der Prozess rasch beendet sein: Im Rahmen der Polizei-Kokainaffäre in der bayerischen Landeshauptstadt hat der angeklagte Luca B. (Name geändert) zum Auftakt der Verhandlung am Amtsgericht am Donnerstag gleich ein Geständnis abgelegt. „Er räumt den Sachverhalt vollständig ein“, sagt sein Verteidiger Sewarion Kirkitadse.

Und es geht schnell: Noch am Abend wird er vom Amtsgericht München zu einer Haftstrafe von drei Jahren ohne Bewährung verurteilt. Zudem ordnet das Gericht die Unterbringung in einer geschlossenen Entziehungsanstalt an.

Demnach hatte B. zwischen 2016 und 2018 mindestens 100 Mal Kokain von einem Münchner Dealer gekauft, die Staatsanwaltschaft geht von 144 Fällen aus. Zudem wird ihm vorgeworfen, vor einer Polizeikontrolle des Dealers Kokain übernommen und in einen Club geschleust zu haben. Auch soll er Drogen weitergegeben und in einem Fall gedealt haben. Auf dem Oktoberfest, so die Anklage, schleuste er Drogen an den Kontrollen vorbei in ein Festzelt.

Angeklagter kann nicht zurück in den Polizeidienst

Unter den verschiedenen beschuldigten und schon verurteilten Beamten ist Luca B., 35 Jahre alt und geboren in Starnberg, sicherlich der schwerwiegendste Fall. Er selbst macht sich keine Illusionen, etwa mit einer Bewährungsstrafe davonzukommen.

In einem anderen Verfahren des Kokain-Komplexes ist unlängst ein anderer Münchner Polizist wegen des Erwerbs von Kokain in 69 Fällen zu zweieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt worden. B. meint in seiner Aussage, dass er überlege, was er „nach dem Absitzen meiner Strafe“ macht. In den Polizeidienst wird er auf keinen Fall zurückkehren können.

In einer Bar lernte er den Dealer kennen

Seine Aussage vor Gericht ist teilweise durchaus ergreifend. So habe er den Einsatz beim Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum im Juli 2016 nicht verkraftet. „Das hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen“, sagt er. Die Schwester eines Opfers habe er im Arm gehalten. Zudem habe es in seinem Bekanntenkreis viele Todesfälle gegeben, und sein Vater litt an einer schweren Krankheit.

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Er bekam massive Schlafstörungen und habe „immer mehr Alkohol getrunken“. In einer Bar lernte er den Dealer Leo T. (Name geändert) kennen, der ihm schließlich eine Linie Kokain anbot: „Dann ging es mir besser.“ Anfangs sei er von T. eingeladen worden, später begann er, Kokain von ihm zu kaufen. Am Ende seien es drei bis vier Gramm in der Woche gewesen.

Der verhaftete Dealer bietet sich als Kronzeuge an

„Irgendwann kommt man nicht mehr davon los“, sagt B., „ich habe keine Kontrolle mehr gehabt.“ Er habe versucht, seinen Polizeidienst und den Drogenkonsum voneinander zu trennen. Und er habe immer wieder auch gedacht: „Hey, es ist nicht richtig, was ich mache.“

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Auf Leo T. und seine Belieferungen von Polizisten ist man durch Zufall gestoßen: Betrunken und vollgekokst war dieser im April 2018 mit dem Auto gegen ein Garagentor gekracht. Da die Polizei ihn wegen möglicher Drogenvergehen schon im Blick hatte, hielt man ihn in Untersuchungshaft. Dort bot er an, als Kronzeuge auszupacken, um eine mildere Strafe zu erhalten. So nannte er die Namen von Polizisten und anderen, die er belieferte.

Der Angeklagte sitzt seit Oktober in Untersuchungshaft

Der angeklagte Luca B. wurde 2018 vom Dienst suspendiert, der Kontakt zu T. brach ab, er konsumierte aber weiterhin Kokain. Laut Staatsanwaltschaft hielt er sich verborgen und galt als flüchtig, weshalb ein Haftbefehl ausgestellt wurde.

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Am 4. Oktober 2021 wurde er festgenommen, seitdem sitzt er in Untersuchungshaft in Landshut. Dort müsse er seine Identität verbergen, denn die Mithäftlinge „hassen die Bullen“. Viele hätten die Ziffern 1-3-1-2 in die Haut tätowiert – das steht für „All cops are bastards“, alle Polizisten sind Bastarde. Auch deshalb wolle B., so sagt sein Anwalt, einen langwierigen Prozess vermeiden.

Zuerst erhielt der Polizist das Kokain für umsonst

Interessant sind die Einblicke ins Dealerwesen, die der leitende Polizeisachbearbeiter bei seiner Aussage gibt: Leo T. habe das Koks zuerst gratis ausgegeben, vor allem auf Partys, und dann an die Polizisten zu günstigeren „Spezialpreisen“ verkauft. Auch habe es „fünf zum Preis von vier“ gegeben: So hätten Polizisten vier Portionen zum normalen Preis an andere weiterverkaufen können, die fünfte wäre dann für sie selbst gratis gewesen.

Luca B. wurde vom Gericht auch über die Zeit gefragt, bevor er mit dem Kokain abgerutscht war: „Das war schön damals“, erinnert er sich. „Ich hatte viel Sport gemacht, war gereist.“ Eine Schöffin möchte wissen, wie er seine Zukunft nach der Haft plant. B. meint, er würde gern die Fachoberschule nachmachen und dann Psychologie studieren.