Angefeuert durch die Lüge vom Wahlbetrug: Trump-Unterstützerinnen bei der Belagerung des Kapitols Foto: SWR/Ashley Gilbertson

Am 6. Januar 2021 haben Trump-Anhänger das Kapitol in Washington gestürmt. Sowohl Arte als auch die ARD erinnern an diesen Schockmoment gesellschaftlicher Spaltung.

Stuttgart - Hässliche Szenen, fraglos, mag sich mancher Europäer denken, wenn zum Jahrestag des Sturms aufs Kapitol in Washington am 6. Januar in vielen Medien noch einmal die Bilder vom eskalierenden Protest der Trump-Anhänger gezeigt werden. Aber der ein oder andere mag das Geschehen auch als letzte Zuckung einer Monstrosität abhaken, als Sterbekrampf des Phänomens Trump. Das wäre eine fatale Fehleinschätzung – nicht nur, was die weiteren Karrierechancen Trumps angeht, sondern in Hinblick auf den Zerfall der politischen Kultur und Rationalität in den USA.

Im einstündigen Dokumentarfilm „Der Sturm aufs Kapitol – Ein amerikanisches Trauma“ von Dagmar Gallenmüller und Gaston Saša Koren, zu sehen am Dienstag um 20.15 Uhr bei Arte und danach in der Mediathek des Senders, bietet der deutsche Journalist Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios in Washington, denn auch eine ganz andere Einschätzung. Er meint, dass „der 6. Januar nur ein Vorspiel war für das, was wir in den nächsten Jahren erleben werden, nämlich die Bereitschaft, gewaltsam einen Umsturz in den USA herbeizuführen“.

Die Drohung mit der Wiederholung

Die Arte-Dokumentation, die aus Interviews mit Zeugen und Beteiligten des Geschehens besteht sowie aus Originalaufnahmen vom 6. Januar, findet keine Trump-Anhänger, die Theveßen einfach zustimmen würden. Sie kann etwas viel Gefährlicheres präsentieren: Stolz auf das, was man getan hat, gekoppelt mit der lächelnden Drohung, das sei bloß ein Vorspiel gewesen. Nur den Begriff Umsturz fänden jene US-Querdenker, die einen Putsch mittlerweile für ein legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen halten, für völlig unangebracht.

Die Ultrarechten in den USA haben jenes Lügengebäude, an dem einige reguläre Medien und neue pseudojournalistische Projekte beständig zimmern, als Wahrheit akzeptiert. Die Wahl ist ihrer Überzeugung nach von linksextremen Komplotteuren gefälscht worden, Biden ist ein Usurpator, ein Beauftragter der neuen Weltordnung mit der Agenda, die USA von innen heraus zu zerstören. Und Donald Trump wäre dann noch immer der rechtmäßige Präsident.

Faschistische Ideale

„Wir wollen unser Land zurückholen“, sagt einer, der eben nicht als unbelehrbarer Schul- und Lebensversager in schmuddeligen Tarnklamotten vor der Kamera herumgrölt, sondern bürgerlich wirkt und fast konziliant formuliert. Man muss sich zwicken, um sich daran zu erinnern, dass hier das faschistische Ideal gepriesen wird, ein fanatischer Mob mit differenzierungsfreien Überzeugungen solle schnellstmöglich das unpatriotische Demokratenpack davonjagen.

Man macht also, will man die tiefe Krise der amerikanischen Demokratie verstehen, die ein Vorausblick auf die Ausweitung der Krisen in Europa sein dürfte, nichts falsch, schaut man sich den „Sturm aufs Kapitol“ bei Arte an. Falls man aber demnächst nur Zeit oder Nerven für einen Film über dieses historische Ereignis hat, sollte man unbedingt dem zum Verwechseln ähnlich betitelten „Sturm auf das Kapitol – Der Angriff auf die US-Demokratie“ den Vorzug geben, den das Erste am 6. Januar um 22.15 Uhr ausstrahlt und der danach ebenfalls in der Mediathek bereitsteht.

Das Smartphone als Motor

Diese in Zusammenarbeit von HBO, BBC und SWR entstandene Dokumentation von Jamie Roberts („Der Dschihad wohnt nebenan“, „Der Aufstieg der Murdoch-Dynastie“) hat viele Themen des Arte-Beitrags, aber oft die besseren Bilder und die interessantere Zeugenaussage. Vor allem ist sie immersiver. Unerbittlich chronologisch montiert sie die Kameraaufnahmen vor allem der Trump-Anhänger und ergänzt sie durch Rückblicke der Randalierer, der Polizisten, die versuchten, den Parlamentssitz zu verteidigen, und der Abgeordneten, die teils und wohl nicht zu Unrecht um ihr Leben fürchteten.

In Roberts’ „Sturm auf das Kapitol“ wird besonders deutlich, wie die sozialen Medien, das Videostreaming der Handykameras und die Selbstinszenierungssucht der auf Instagram und Facebook Fixierten nicht bloß Begleiterscheinungen des Putschversuchs waren, sondern Motoren des Geschehens. Einerseits war das Smartphone ein Instrument der Radikalisierung, verbreitet Lügen, Gerüchte, extrem subjektive Blickwinkel, Hitze und Anfeuerungen in Echtzeit. Andererseits ist dieses Alltagsinstrument für viele Aufrührer wohl auch ein Verharmloser gewesen. Die Filmbarkeit und Teilbarkeit erzeugte die Illusion des Erlaubten, als sei das Ganze nicht mehr als eine wilde Grillparty oder sonst etwas, das man routinemäßig der Mitwelt präsentiert, um fürs Spaßranking einer globalen, unablässigen Erlebniskonkurrenz Punkte zu sammeln.

Mäßigende Kräfte

Manche der Interviews sind erstaunlich. Gerade die jüngeren Trump-Anhänger sind so entspannt wie unbelehrbar: Der Sturm sei erstens rechtens gewesen, zweitens sei doch nicht wirklich etwas passiert, drittens befinde man sich in einer dauerhaften Notwehrsituation gegen finstere Kräfte der Linken.

Einziger Lichtblick unter Faschisten, Rassisten und Verschwörungswirrköpfen: Noch gab es vor Ort auch ein paar mäßigende Stimmen, Trump-Anhänger etwa, die einem in die Menge gezerrten und schwer misshandelten Polizisten das Leben retteten. Aber in den USA arbeiten Scharfmacher darauf hin, dass es beim nächsten Milizenaufstand keine Mäßigenden mehr geben wird.

Sturm aufs Kapitol

Rückblick
Das Fernsehen beschäftigt sich nicht zum ersten Mal mit dem Gewaltexzess von 2021 und den anschließenden Rechtfertigungen. Besonders interessant: das halbstündige „Weltspiegel“-Special „USA: Sturm aufs Kapitol. Drei Tage unterwegs mit Angeklagten“, abrufbar in der ARD-Mediathek.

Ausstrahlungen
Die einstündige Doku „Der Sturm aufs Kapitol – Ein amerikanisches Trauma“ läuft bei Arte am Dienstag um 20.15 Uhr, die 90-minütige Doku „Sturm auf das Kapitol – Der Angriff auf die US-Demokratie“ im Ersten am Donnerstag um 22.15 Uhr. Anschließend kann man die Filme in den Mediatheken der Sender abrufen.