Bärbel Stolz Foto: LICHTGUT/LICHTGUT/Leif Piechowski

Bärbel Stolz ist Schauspielerin und hat als Prenzlschwäbin Hunderttausende zum Lachen gebracht. Doch sie selbst weint nicht nur Lachtränen: In einem Buch schreibt sie über die Depression ihres Vaters. Ein Gespräch über Schuld, Schmerz und Humor.

Der Titel spricht Bände: „Vom Buffet der guten Laune nehme ich die sauren Gurken.“ Ein Buch, in dem Humoristen über Depressionen schreiben und zeichnen. Unter dem Motto: „Selbst Menschen, die von einer Depression betroffen sind, können lachen.“

Frau Stolz, warum haben Sie am Buffet eine saure Gurke gewählt?

Ich hatte Anfang des Jahres eine Anfrage bekommen. Ich fand die Idee toll, aber ich dachte, ich kann und darf da ja nichts beitragen, da ich ja selbst nicht depressiv bin.

Aber Ihr Beitrag ist jetzt doch im Buch?

Der Verlag hat nachgehakt. Weil sie Stimmen hören wollten von Menschen, die keine diagnostizierte Depression, aber damit zu tun haben.

Das ist jetzt sehr ehrlich und sehr intim geworden.

Wenn man sich dafür entscheidet, dann nützt das ja nur, wenn man das ehrlich macht und nicht mit Plattitüden und Allgemeinplätzen kommt, die nicht wehtun. Ich habe angefangen zu schreiben, ließ alles raus fließen und schaue dann was davon passt. Ich habe die Texte dann meiner Mutter und meinen Schwestern geschickt. Die haben das sehr unterstützt.

Ihr Vater hatte Depressionen. Wie gehen sie als Familie damit tun?

Es war Mitte/Ende der 90er Jahre, als mein Vater einen Nervenzusammenbruch hatte und in die geschlossene Abteilung der Klinik in Zwiefalten kam. Das war erst einmal sehr gruselig. Diese sedierten Menschen, die da sitzen. Leute, die einem Briefe an den Bundeskanzler mitgeben. Das war für mich sehr erschreckend, meinen Vater da mittendrin zu sehen. Meinen Vater der komplett abgelehnt hat, krank zu sein. Eine psychische Erkrankung war zu der Zeit gerade auf dem Land ein Stigma. Das war keine Krankheit, das war eine Art Charakterschwäche.

Wie hat sie das beeinflußt?

Wir haben das – gezwungenermaßen – zusammen durchlebt. Ich habe ihn aus dem Krankenhaus abgeholt, zu den Untersuchungen gefahren, zum Funk, zu seinen Hörspielaufnahmen. Er hat einmal zu mir gesagt, er hätte keine Familie haben dürfen, er hätte mit dem Theater verheiratet sein müssen. Meine Mutter hat dann selbst Therapie gemacht. Ich bin zu der Zeit auf die Schauspielschule gewechselt, und hatte das Gefühl, das ist auch haufenweise Therapie.

Inwiefern?

Ich habe sehr gezweifelt, ob die Schauspielschule der richtige Weg ist. Inwieweit ich nur meinen Vater nachlebe. Ich war immer sein Spiegelkind, die ihm scheinbar am ähnlichsten war. Ich habe mir Campari gekauft und gesoffen, die leidende Künstlerin gespielt.

Nur gespielt?

Ich kenne abgrundtiefe Trauer. Aber ich habe Talent zum Glücklichsein. Ich hatte Angst davor, dass ich in so eine Richtung rutschen könnte, wie mein Vater. Er war lange Alkoholiker und hat damit, viele Ängste weggedrückt. Als er mit dem Alkohol aufgehört hat, war da kein Ventil mehr. Später ist mir dann klar geworden, wie nachvollziehbar das ist, wie viele Schauspieler Alkoholiker sind.

Warum?

Dieses Selbstvermarkten müssen, diese gesellig sein und gesellschaftsfähig, das ist ja nicht leicht. Dieses stete Schwanken zwischen Hybris und Selbstzweifeln, im Zweifel steht man auf einer Premierenfeier und ist gerade schüchtern, soll sich aber unterhalten. Da hilft es, wenn man zwei, drei Gläser getrunken hat.

Und trotzdem wurden sie Schauspielerin?

Mein Vater hat mir einen Brief geschrieben, dass ich mich aus all meinen Talenten für das schönste entschieden habe, aber auch für das schwerste. Er hat sich mehr Sorgen gemacht um mich als ich mir selber. Ich war theatralisch traurig, aber es hatte nie diese destruktive Wucht wie bei meinem Vater.

Wie schützen Sie sich vor dieser Wucht?

Dieses sich selbst zugestehen zu können, glücklich sein und das Leben genießen zu dürfen, das ist kompliziert. Es ist mir richtig schwer gefallen, wenn ich gemerkt habe, zuhause ist es wieder schwierig. Dieses Verdammtsein, nicht helfen zu können, nicht zur Heilung beitragen zu können. Das ist eine Last. Zu lernen, ich habe nur eine diese eine Leben, für das ich verantwortlich bin, das darfst auch Du mir nicht kaputt machen. Das war ein schwerer Satz für mich.

Im Buch beschreiben sie eine Szene mit ihrem Vater.

Ja. Er kam zu meiner ersten Premiere am Maxim-Gorki-Theater. Und beschwerte sich danach andauernd, das er das auch gekonnt habe, jetzt aber nicht mehr möglich sei. Diese Spirale kannte ich und sie drohte mich, mitzuziehen. Da habe ich ihn tatsächlich von Berlin aus nach Hause geschickt. Das war nötig.

Und macht ja trotzdem was mit Ihnen?

Es ist gleichzeitig etwas, was ich mir bis heute nicht verziehen habe. Da habe ich nach wie vor Schuldgefühle. Ich habe das Gefühl, ihn im Stich gelassen zu haben. Es sagt ja einem niemanden, es war das Richtige. Man überlegt ja auch, was wäre die Alternative. Alles was man macht und versucht, hilft einem scheinbar nichts. Wenn ich sage, wie schön das ist, wie gut, das schmeckt, wie lustig das ist; damit macht man alles noch schlimmer.

Wie war die Resonanz auf ihren Text?

Einige haben mich eingeordnet in die Reihe der Depressiven. Da kamen Nachrichten wie: Mensch, das wusste ich gar nicht, Du wirkst immer so fröhlich. Sehr viele waren aber sehr berührt davon, dass man unter Depression leiden kann, wenn man selbst keine hat.

Vom Buffet der guten Laune

Das Buch
mit dem Titel „Vom Buffet der guten Laune nehm ich die sauren Gurken“ ist erschienen bei Lappan. 31 Humoristen zeichnen und schreiben ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Depressionen. Neben Bärbel Stolz haben unter anderen Sabine Bode, Ronja von Rönne, Sonja Koppitz, Max Giermann Torsten Sträter, Scharwel, Beiträge erstellt.

Bärbel Stolz
Sie ist am 5. November 1977 in Esslingen geboren. Sie wuchs in Hayingen auf. Ihre Schauspielausbildung machte sie an der Hochschule für Film und Fernsehen Ernst Busch in Berlin. Sie spielt Theater, in Serien wie etwa „Verliebt in Berlin“ oder „Türkisch für Anfänger“ und der „SOKO Stuttgart“, sowie in etlichen Spielfilmen. Seit 2015 macht sie sich auf ihrem YouTube-Kanal „Die Prenzlschwäbin“ über das Klischee des Schwaben in Berlin lustig. Zudem hat sie zwei Bücher geschrieben.