Noch strahlend vollzählig: die Kandidatinnen aus der Gruppe der Jüngeren, der Missys Foto: Joyn/Benedikt Müller

Mit den Werbeplakaten zu „M.O.M – Milf oder Missy“ sorgt der Streamingdienst Joyn aktuell für viel Empörung. In der Datingshow selbst konkurrieren 14 Frauen aus zwei Altersgruppen um zwei Männer.

Stuttgart - Hat sie? Oder hat sie nicht? „Du siehst durchgevögelt aus“, kichern die anderen Kandidatinnen der Datingshow „M.O.M – Milf oder Missy?“, als Lena vom Einzeltreff mit Kandidat Marko zurückkommt. Lena lacht, wehrt ein bisschen ab und lässt Möglichkeiten offen. Ja, auch „M.O.M“, eine Eigenproduktion des Streamingdienstes Joyn, macht wie fast alle Vertreter des Genres aus dem Menschen eine Ware. Körper, Vermögen und Lifestyle werden Marktangebote. Suchen und Finden, Flirten und Zurückweisen sollen zum Börsenfieber eskalieren: Wer ist wie viel wert, wer erlebt einen Kurssturz? Wie bei Datingshows üblich gibt es darum die Totalpleite: das Rausgewähltwerden aus der Sendung durch den Überdruss der Umworbenen. Anfangs 14 Frauen bangen darum, ob sie den beiden Männern der Show wohl gut genug gefallen werden, um eine weitere Runde bleiben zu dürfen.

„Milf oder Missy“ klingt prollig. Die Mitspielerinnen sind in zwei Gruppen geteilt, die der jüngeren, der Missys eben, und der älteren, der Milfs. Missy als Bezeichnung für eine junge Frau ist ein Ausdruck aus Dunstkreisen, in denen alkoholhaltige Süßgetränke als wichtiger Teil des Vorspiels gelten. Milf ist eine aus der Pornobranche in den Alltagssprachgebrauch der Schulhöfe übergegangene Kategorisierung nicht mehr blutjunger Frauen: die Abkürzung steht für „Mother I’d like to fuck“.

Glitschig eingeölt

Joyn, der Streamingdienst der Privatsendergruppe Pro 7/Sat 1, hat ungewohnte Aufmerksamkeit für die PR-Offensive zu „M.O.M.“ bekommen: Stuttgarter Grünen-Stadträtinnen fordern, die Werbeplakate der Sendung sollten aus den Stadtbahnhaltestellen verschwinden. Frauen würden darauf „mit sexistischen Motiven und Texten herabgewürdigt“. Auch Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) hat sich bei Pro 7/Sat 1 beschwert, die Kampagne sei „alles andere als hilfreich für das gesamtgesellschaftliche Bemühen um ein respektvolles Miteinander.“

Die Plakate darf man widerlich finden. Eine Debatte über die Werbung aber kann vor der Sendung nicht Halt machen. „M.O.M. aber hat sich glitschig eingeölt, um Kritik zu entgehen. „Milf oder Missy“ gehört zur Gattung der Scripted-Reality-Shows. Was man sieht, ist keinesfalls die runde Wahrheit. Die Figuren sind nicht ganz sie selbst. Wie stark im Einzelfall die Mitspieler, deren Selbstdarstellung und Interaktionen gelenkt werden, weiß man nicht. Doch dass Einfluss genommen wird, ist längst augenzwinkerndes Übereinkommen zwischen Produzenten und Zuschauern.

Gestandene Frauen

Dass man nicht weiß, wo die Grenze zwischen Selbstentblößung und Amateurschauspiel verläuft, soll Scripted-Reality-Formaten zusätzlichen Reiz verschaffen. Dass viele sich klug dabei vorkommen, das Künstliche zu durchschauen, dürfte ein Anreiz zum Weiterschauen sein.

Hier sind aber keinesfalls ausnahmslos jene Showkandidaten beisammen, bei denen man sich sonst manchmal fragt, ob sie eigentlich voll geschäftsfähig sind oder ob nicht ein Amtsvormund ihre Teilnahme an der jeweiligen Sendung hätte verhindern sollen. Bei den jüngeren wie bei den etwa älteren „M.O.M“-Kandidatinnen (die älteste Teilnehmerin ist 44) befinden sich gestandene Berufstätige, stylingbewusste Charakterköpfe, selbstbewusste Studentinnen. Bei einigen kann man sich nicht einmal vorstellen, dass sie so eine Sendung allzu begeistert anschauen würden. Man rätselt, warum sie mitmachen.

Doppelzüngiges Konzept

Aber sie tun es. Vielleicht liegt ein Teil der Erklärung in der Doppelzüngigkeit des „M.O.M.“-Konzepts. Zwar wird den beiden männlichen Kandidaten, der „Junior“ Marko (27, Personal Trainer) und der „Senior“ Felix (57, Architekt) von den Regeln klar die Auswahlmacht zugesprochen. Aber die Frauen vertreten die Position, dass eigentlich sie hier die Chance bekommen, mal zwei Typen auf Herz und Nieren zu prüfen.

Die Verdinglichungsmaschine packt fraglos auch die Männer. Der durchtrainierte Marko ist der „Superbody“, der von Folge zu Folge mehr und mehr als Sexspielzeug präsentiert wird. Das wird durch seine nicht so recht glückenden Versuche, sich als Person mit Tiefgang darzustellen, eher noch unterstrichen. Felix dagegen wird zum Sugar Daddy stilisiert, zum Erfolgsmenschen, der via Finanzkraft Zugang zum Luxusleben verschaffen kann. Auch diese Vereinfachung wird durch Felix‘ Bemühungen, als so lockerer wie kunstsinniger Erlebnistyp rüberzukommen, eher verschlimmert.

Man muss es aushalten

„M. O. M.“ mag auf den Werbeplakaten wie die Stripshow „Tutti frutti“ im Zeitalter von Tinder auftreten. Aber tatsächlich ist dies als Premiumformat der Datingshows gedacht. Bei der Positionierung durch den Streamingdienst kann man dabei nicht entscheiden, wo durchgeknallte Werbung aufhört und purer Zynismus anfängt: „M.O.M.“ ist die einzige Datingshow, die den Fokus auf ein lang umstrittenes gesellschaftliches Thema legt“, heißt es auf der Programmseite von Joyn, „den Altersunterschied in Liebesbeziehungen. Widerspricht dieser bestimmten Moralvorstellungen oder ist er in unserer aufgeschlossenen Gesellschaft komplett irrelevant?“

Ziemlich schmierig windet „M.O.M.“ sich zwischen Fleischbeschau und Frauenpower, Geschlechterklischees und Rollenhinterfragung durch. Letztlich triumphiert der taxierende männliche Blick. Aber die Frauen setzen sich dem freiwillig aus. Sie sind überzeugt, solche Machotouren überwinden oder gegen die Männer wenden zu können. Da mögen sie Unrecht haben. Aber es ist der Anspruch, mit dem sie antreten. Und was immer ihnen die Regie hinter den Kulissen der Show abfordern mag, sie spielen mit. In den im Internet bereits erhobenen Ruf, solche Formate überhaupt abzuschaffen, mischt sich ein bedenklicher Bevormundungswille. Man wird die Serie „M.O.M.“ – anders als ihre Plakate an Orten, wo auch Kinder hinschauen - wohl aushalten müssen.

Beim Streamingdienst Joyn sind die Folgen der Show gratis abrufbar.