Foto: Felix Heck - Felix Heck

Der neue Vereins-Wirt des SV Cannstatt, Gerhard Wörner, hat eine historische Fotoausstellung zusammengestellt. Fotos sind im Vereinsheim zu sehen.

Bad CannstattVerträumter Silberblick, den sportlichen Körper leicht lasziv zur Seite gebeugt und ein hintersinniges Lächeln auf den Lippen tragend: So sieht sie also aus, die neue „Mona Lisa von der Mombachquelle“, wie ein kleines Pappschild an der Wand neben dem Kunstwerk verrät. Und tatsächlich: Auf den ersten unbedarften Blick wirkt die in schwarz-weißer Fotografie verewigte Dame im Badeanzug beinahe wie die kleine schwäbische Schwester der großen italienischen Renaissanceschönheit. Erst beim genaueren Hinschauen leuchtet ein: Das hier kann unmöglich da Vincis Meisterwerk sein – dafür ist die auf Leinwand gebannte Fotografie aus den 1930er-Jahren schlicht zu jungen Datums. Und auch ihre neue Heimat, die Vereinsgaststätte des Cannstatter Mombach-Bades, kann selbst mit der frisch aufgetragenen roten Wandfarbe kaum als exakte Stuttgarter Kopie des Pariser Louvre herhalten.

Für Gerhard Wörner ist der aufsehenerregende Name trotzdem mehr als nur ein augenzwinkerndes Wortspiel: „Auch wenn wir weder den Namen der abgebildeten Cannstatterin noch die genauen Beweggründe für dieses Bild kennen, lädt es uns doch zum Nachdenken ein: Welche Bewandtnis steckt hinter dem Bild? Warum wurde es ausgerechnet in den schwierigen 30er-Jahren gemacht und findet sich heute im Fotoalbum des SV Cannstatt wieder? Es hat, wie ich finde, einen unerwartet hohen künstlerischen Wert.“

Gerhard Wörner selbst gab dem mühevoll aufgearbeiteten und kunstvoll gedruckten Historienexemplar seinen öffentlichkeitswirksamen Titel „Mona Lisa von der Mombachquelle“. In seinem künstlerischen SVC-Konzept fungiert das Lieblingsbild des Cannstatters als Headliner und Aushängeschild einer Ausstellung, die zur Reform der maroden SVC-Gaststätte einen wichtigen Beitrag leisten soll. Der ehemalige Wasserballer, der in seinem Hauptberuf als Künstler und Autor unter anderem dem beliebten Wasenhasi zur Geburt verhalf, übernahm im Sommer die Geschicke der Vereinsgaststätte aus den Händen des scheidenden Vorpächters. Als erste Etappe eines langen Reformweges eröffnete in den grundsanierten Räumen nun vor wenigen Wochen eine SVC-Fotoausstellung der besonderen Art – mitsamt besagtem schwäbischem Pendant zur „Mona Lisa“.

Für Wörner ist das entstandene Projekt eine Herzensangelegenheit, denn um die traditionsreichen Versammlungsräume im Nebenbau des Mombach-Bades stand es im Vorfeld seines Engagements lange Zeit desaströs. Mehrere Pächterwechsel hatten die Anpassungsfähigkeit der treuen SVC-Mitglieder zuvor immer wieder auf harte Proben gestellt. Zuletzt forderten eine jahrelange renovierungsbedingte Badschließung und die ohnehin abgelegene Lage inmitten der Neckarvorstadt immer deutlicher ihren Tribut. Im Sommer 2018 warf auch der letzte glücklose Wirt das Küchentuch, es drohte der endgültige Leerstand, ein verletzender Einschnitt ins Vereinsleben an der Mombachquelle schien unabwendbar. „Das konnte ich nicht länger mit ansehen“, beschreibt SVC-Urgestein Gerhard Wörner heute die Ursache seiner damaligen forschen Bemühungen, mit denen er sich nach dem Weggang des letzten Gastronomen alsbald in Gesprächen auf Vorstandsebene wiederfand. Ganz der Tausendsassa des Vereins begann er kurz darauf mit der Neukonzipierung: Statt düsterer Kneipe sollen die einst verrauchten Gasträume im Obergeschoss des Bades nun zur Wohlfühlzone für alle Mitglieder werden – eine Grundidee, die schnell auf offene Ohren stieß.

Die Komplettsanierung, der in die Jahre gekommenen Einrichtung, ergab sich als obligatorischer erster Schritt – doch sie sollte nicht die einzige Veränderung bleiben. Der zweite Glücksfall nach Übernahme des Vereinskochlöffels ereignete sich für Gerhard Wörner noch in der Umbauphase: Eher durch Zufall sei er damals bei Entrümpelungsarbeiten in den Kellerräumen des Bades auf die eingestaubten Foto-Archive des Vereins gestoßen. „Aus purem Jux habe ich angefangen, in den alten Bildbänden zu blättern. Das scheint ein Fehler gewesen zu sein, denn diese Eindrücke haben mich seitdem einfach nicht mehr losgelassen.“ Tagelang stöberte Wörner in den Tiefen des Archivs, stieß auf immer mehr skurriles, erhellendes und wertvolles Material zu den Anfängen des 1898 gegründeten Traditionsvereins.

Besonders die zahlreichen Fotografien aus der Gründerzeit hatten es dem Kunstkenner angetan, bald schon war für Wörner klar: „Diese Bilder haben einen hohen ästhetischen und historischen Wert. Sie gehörten einfach verwendet in meinem Konzept.“

Mit vereinten Kräften und noch größerer Euphorie, so erzählt es Wörner in der Retrospektive, küsste er Album für Album aus dem tiefen Dornröschenschlaf. Besonders die digitale Aufarbeitung kostete Zeit und Mühe, in stundenlanger Sisyphusarbeit forderte jeder der teils stark verblichenen Pixel eine Spezialbehandlung. „Ein unglaublich zeitraubendes Geschäft“, attestiert Wörner der einsamen Arbeit am PC im Rückblick. Doch: „Die Mühen haben sich definitiv gelohnt.“ 27 Bilder, allesamt vergrößert auf Leinwanddimensionen und in schwarz-weißer Hochglanzqualität gedruckt, haben es zur Vernissage am 12. Mai in die Auswahl geschafft – zweifellos Gerhard Wörners ganzer Stolz, der sichtlich berührt von seiner packenden ehrenamtlichen Arbeit erzählt.

Auf die zahlreichen staunenden Besucher muss die schlichte Ausstellung im aufgehellten Kneipengroßraum, wie die längst vergessene Herzkammer eines stolzen Traditionsvereins wirken – ein Effekt, den der Künstler gerne bei allen Mitgliedern hervorrufen möchte. „Wir leben in verrückten Zeiten, in denen man beinahe verlacht wird, wenn man sich ehrenamtlich engagiert. Ich möchte da den Fokus wieder etwas verändern, die Sinne schärfen und zeigen, wie viel Geschichte doch in unserem großartigen Verein steckt“, so sein Anliegen. Bisher scheint ihm das bestens gelungen zu sein, eine durchweg positive Besucherresonanz gibt dem Kämpfer für das Erbe des SV Cannstatt uneingeschränkt Recht: „Die Leute sind richtiggehend begeistert, manche sind auch schon mit eigenen Erinnerungen und Bildern auf mich zugekommen.“ Das Konzept einer neuen Vereinsheimat für alle scheint aufzugehen – zumal Pläne für mehr Veranstaltungen, die Etablierung weiterer Stammtische und der Aufbau eines kleinen SVC-Shops im noch abgedunkelten Bereich der ehemaligen Gaststätte existieren. Somit wird wohl in und um die SVC-Vereinskneipe in Zukunft einiges los sein – immer unter den wachsamen Augen der gütig lächelnden „Mona Lisa von der Mombachquelle“ versteht sich.

Auch für interessierte Nicht-Mitglieder ist die Ausstellung jeden Mittwoch ab 18.30 Uhr geöffnet. Erkenntnisse aus der Cannstatter Vereins-, Quellen- und Badgeschichte lässt Initiator Gerhard Wörner immer wieder gerne in seine ehrenamtliche Arbeit einfließen. Interessierte können sich unter woerner.gerhard@t-online.de melden.