Beim G20-Gipfel auf Bali fand das bisher einzige Treffen in der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden und Chinas Präsident Xi Jinping statt. Foto: dpa/Alex Brandon

Der Abschuss des chinesischen Spionageballons steht als Ausrufezeichen in einer Phase, in der sich die Beziehungen zwischen den USA und China deutlich abgekühlt haben. US-Präsident Joe Biden setzt auf eine Politik der „Entkopplung“.

Wenige Stunden nach dem Abschuss des chinesischen Spionageballons vor der Küste South Carolinas griff US-Verteidigungsminister Lloyd Austin zum roten Telefon. Doch am anderen Ende in Peking nahm niemand ab. Sein Kollege Wei Fenghe lehnte es ab, den für Krisensituationen eingerichteten Kommunikationskanal zu nutzen. Die USA hätten „nicht die richtige Atmosphäre“ für einen Dialog geschaffen, hieß es.

„Das ist wirklich gefährlich“, sagte der für China zuständige Ministerialdirektor im Pentagon, Ely Ratner, bei einer Anhörung vor dem Außenkomitee im US-Senat am Donnerstag. Dies sei nicht das erste Mal, dass es nicht möglich war, eine direkte Verbindung zwischen den Militärs beider Länder herzustellen. Für umso wichtiger halten Experten die Einrichtung eines direkten Krisenkanals, über den Joe Biden und Xi Jinping miteinander Kontakt aufnehmen können.

Es gibt viele Konflikte, die das Potenzial zur Eskalation haben

Selten zuvor gab es zwischen den strategischen Rivalen so viele Konflikte, die das Potenzial zur Eskalation haben. Aufhorchen ließ Anfang des Jahres das Memorandum eines Generals der US Air Force, der in nicht zu ferner Zukunft mit einem Krieg zwischen den USA und China rechnet. „Ich hoffe, ich liege falsch“, schrieb Michael A. Minihan, der bei der US-Luftwaffe für Logistik zuständig ist. „Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir 2025 kämpfen werden.“

Einige US-Generäle befürchten militärische Kollisionen

Die Argumente des Generals sind nicht aus der Luft gegriffen. Chinas Präsident Xi sicherte sich vergangenen Oktober eine dritte Amtszeit. Seine Intention, das abtrünnige Taiwan notfalls mit Waffengewalt einzuverleiben, ist gut dokumentiert. 2024 böten die Wahlen auf der Insel einen Vorwand, zumal die USA durch den eigenen Präsidentschaftswahlkampf abgelenkt wären.

Das Pentagon beeilte sich, das an die Medien durchgereichte Memorandum zu entschärfen. Dies sei „nicht repräsentativ“ für die Sicht der Regierung, hieß es. Tatsächlich ist Minihan nicht der einzige General, der sich darum sorgt, dass aus dem Kalten Krieg ein heißer werden könnte. Sei es wegen der Spannungen um Taiwan, den Ansprüchen Pekings im Südchinesischen Meer oder einer militärischen Kollision in internationalen Gewässern.

Die USA betonen, der Blinken-Besuch in Peking sei nicht abgesagt

Dass diese Bedenken nicht so weit hergeholt scheinen, zeigt die rasante Eskalation der Affäre um den Spionageballon und die folgende Sprachlosigkeit zwischen beiden Seiten. Antony Blinken sagte den ersten Besuch eines amerikanischen Außenministers in China seit 2018 ab. Die zwischen Biden und Xi vergangenen November auf Bali vereinbarte Visite sollte ausdrücklich das Ziel haben, ein „Sicherheitsgeländer“ und neues „Fundament“ für die bilateralen Beziehungen zu schaffen.

Das US-Außenministerium betonte, der Blinken-Besuch in Peking sei nicht dauerhaft abgesagt, sondern bloß verschoben. Große Eile, einen neuen Termin für den Besuch zu finden, besteht allerdings nicht. Dafür ist der innenpolitische Druck zu groß. Einstimmig beschloss das Repräsentantenhaus eine Resolution, die das Eindringen in den US-Luftraum verurteilt. Stattdessen schlachten die USA die chinesische Ballonpleite genüsslich aus. Während eines Besuchs von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Washington am Mittwoch sagte Blinken, es seien „Dutzende Länder rund um die Welt“ über das chinesische Spionageprogramm informiert worden.

Unter Barack Obama gab es einen „Schwenk nach Asien“

Im Jargon der außenpolitischen Experten fällt das unter die Rubrik „Friendshoring“. Das ist ein zentrales Element des bereits unter Barack Obama angekündigten „Schwenks nach Asien“, der darauf abzielt, das Bündnis der demokratischen Staaten in der Region zu stärken. Der russische Überfall der Ukraine vor einem Jahr hat die Sensibilität für die Gefahren einer zu großen ökonomischen Abhängigkeit dramatisch erhöht.

Zumal es im Fall der Volksrepublik nicht bloß um Energie geht, sondern einen Austausch von Waren und Dienstleistungen, der 2022 trotz der wachsenden Spannungen mit 690 Milliarden US-Dollar einen neuen Rekord aufgestellt hatte. Von einem Konflikt betroffen wären globale Lieferketten. Um dieses Risiko künftig zu minimieren, setzten die USA auf eine Politik der „Entkopplung“.

US-Unternehmen wollen globale Lieferketten robuster machen

US-Präsident Biden hielt dafür nicht nur die von Donald Trump verhängten Strafzölle gegen die Volksrepublik aufrecht. Er setzte im Kongress mit Unterstützung beider Parteien ein Gesetz durch, das die einheimische Halbleiterproduktion massiv fördert. Per Exekutivbefehl wies er das Handelsministerium an, den Export hochmoderner Chips nach China zu unterbinden.

Die strikte Covid-Politik Pekings beschleunigte die Suche amerikanischer Unternehmen nach alternativen Standorten, um die globalen Lieferketten robuster zu machen. Das leitete Investitionen von China zu befreundeten Ländern in der Region wie Vietnam und Indien um. Aber auch Staaten wie Mexiko profitieren davon. Analysten erkennen in der Chinapolitik der US-Regierung eine Ambivalenz zwischen strategischer Rivalität und dem Versuch, die Dinge nicht außer Kontrolle geraten zu lassen.

US-Präsident Biden brachte diesen Ansatz zum Ausdruck. Er glaube nicht, dass der Abschuss des Spionageballons die Beziehungen nachhaltig gefährde. Aber er habe Xi deutlich gemacht, „dass wir voll mit China konkurrieren werden, aber nicht nach einem Konflikt suchen.“