1962: Die Klasse 1a (heute: Klasse 5) des GDG im typischen Sportdress. Foto: z

Es ist ein halbes Jahrhundert her, dass die beiden Abschlussklassen des Jahrgangs 1970 über den Büchern saßen und für die Abschlussprüfungen am Gottlieb-Daimler-Gymnasium büffelten. Ehemalige Schüler erinnern sich an eine Schulzeit zwischen Aufbruch und dem Festhalten an antiquierten Erziehungsmethoden, an harmlose Streiche und an besondere Lehrer.

Bad Cannstatt - An diesem Samstag im Juni 1966 ist an Unterricht nicht zu denken. Dicht aneinander gepresst stehen die Schüler des Gottlieb-Daimler-Gymnasiums (GDG) in der Kattowitzer Straße an den Fenstern und blicken hinüber zu den Gleisen. Dort soll in Kürze ein Sonderzug aus München passieren – ein weißer Sonderzug, an Bord dessen sich vier umjubelte Musiker befinden: die Beatles. Die Durchfahrt der „Fab Four“ hat sich in der Schülerschaft schnell herumgesprochen, einer der Jugendlichen, die am Fenster stehen, ist Hans Säurle. „Die Beatles hatten im Circus Krone ein Konzert gegeben und waren auf dem Weg nach Essen in die Grugahalle“, erinnert sich der 69-Jährige. Die Stimmung? Aufgekratzt, losgelöst. Es ist für alle ein besonderer Moment – so besonders, dass er auch mehr als 50 Jahre später noch in den Köpfen vieler ehemaliger Pennäler des Abijahrgangs 1970 herumspukt, wenn sie auf ihre Schulzeit im GDG zurückblicken.

Zwei Epochen

Diese müsste man eigentlich in zwei Blöcke aufteilen: in die Zeit vor und nach 1966. Bis Mitte des Jahrzehnts waren die beiden Klassen, die sich aus jeweils bis zu 30 Jungen zusammensetzten, noch in dem alten Backsteingebäude in der Überkinger Straße, in dem sich heute die Jahn-Realschule befindet, untergebracht. Die sanitären Anlagen dort? Abgesehen von einer Rinne im Keller quasi nicht vorhanden. Die Mauern des Gebäudes hatten Löcher, die von den Schülern mitunter noch ein wenig vergrößert wurden. Und dann gab es noch einige ältere Lehrkräfte, die ihre Zöglinge bevorzugt mit körperlicher Züchtigung zu erziehen suchten: Langhaarige wurden am Schopf gepackt, ihr Kopf auf den Tisch geschlagen. „Ein Lehrer hatte eine derart starke Handschrift, dass seine Ohrfeigen, die er aus nichtigem Anlass verteilte, einen glatt umhauten“, sagt Hans Säurle. Und dennoch: Aufbegehrt wurde von Seiten der Schüler gegen diese Form der Maßregelung nicht.

Es gab Mitte der 1960er-Jahre allerdings auch am GDG bereits pädagogische „Gegenmodelle“. Solche, die sich mit ihren Schülern verbündeten. So wie der junge Musiklehrer, der es wagte, im Unterricht das Lied „Yesterday“ von den Beatles einzustudieren. Der junge Referendar, der das Klassenzimmer nicht betreten konnte, weil die Schüler um die Tür herum mehrere Ringe aus Schulbänken aufgebaut hatten. Seine Reaktion? Er bat um einen Stuhl und improvisierte eine Schulstunde zum Thema „Demokratische Widerstandsformen“. Oder der Französischlehrer, der sich gegen den Rektor stellte und die Jugendlichen ermunterte, den Schulstreik gegen den „Numerus clausus“ aktiv zu unterstützen – auch wenn ihm das einen Eintrag in seine Personalakte einbrachte.

Freikarten für den VfB

Auch später bekannte Persönlichkeiten zählten damals zur Lehrerschaft am Gottlieb-Daimler-Gymnasium. So wie der Mitte März verstorbene Peter Öhligschläger, langjähriger Leichtathletik- und Assistenz-Trainer der VfB-Profis. Dem Sportlehrer am GDG wurde ebenfalls manch harmloser Streich gespielt: So „verlegten“ die Oberstufenschüler den Start beim 100-Meter-Lauf einfach um fünf Meter nach vorn. „Durch die Traube von uns Schülern hat Herr Ohligschläger davon nichts mitbekommen. Er stand ja am Ziel. Allerdings war er dann ganz stolz, als er beim Zeit-Stoppen merkte, dass sich die ganze Klasse fast wunderbar verbessert hatte“, sagt Georg Tatzel.

Auch der damalige VfB-Präsident Fritz Walter gehörte dem Lehrerkollegium an. Der Studienrat belohnte Fleiß im Französisch-Unterricht auf besondere Weise: Wer sich schnell meldete und seine Vokabeln gelernt hatte, wurde mit Freikarten für die Wasenkicker beschenkt, die zudem noch eine Rote Wurst für die Schüler beinhalteten. „Bei einem Heimsieg erzählte uns Doktor Walter gut gelaunt in der Doppelstunde Französisch am Montag eine spannende Hitchcock-Geschichte – das muss sein Hobby gewesen sein. Bei einer Niederlage war er übel gelaunt und es wurde hart gebüffelt“, erinnert sich Klaus Hermann. Zum Glück für die Schüler hielten sich die VfB-Pleiten in dieser Zeit allerdings in Grenzen.

Die ehemaligen Schüler des Abitur-Jahrgangs 1970 könnten viele solcher Geschichten erzählen – und werden es sicherlich auch noch tun. Spätestens im November dieses Jahres, wenn das goldene Abitur mit einer Feier gewürdigt wird. Diese fiel übrigens vor einem halben Jahrhundert aus, weil die Schüler von sich aus darauf verzichteten. „Das erschien uns damals einfach zu spießig“, gesteht Hans Säurle und lacht.