Weiße Blätter sind ein Symbol der Proteste in China. Foto: AFP/Money Sharma

Die Proteste in China haben zu einem Ende der Lockdowns geführt. Doch der Preis, den einige Mutige dafür zahlen müssen, ist hoch.

Mit Staunen schaut die Welt derzeit auf China, wo die Regierung innerhalb weniger Tage ihre radikale Lockdown-Maßnahmen aufgegeben hat. Nicht nur der wirtschaftliche Druck hat zur überstürzten Abkehr von „Null Covid“ geführt. Der Zeitpunkt der Öffnung legt nahe, dass vor allem die landesweite Protestbewegung vor zwei Wochen die Staatsführung zum Einlenken gebracht hat: Die Demos der jungen Chinesen, die in dutzenden Städten auf die Straße zogen, waren scheinbar erfolgreich. Weitaus weniger bekannt ist jedoch, welch hohen Preis die Menschen für ihre Zivilcourage zahlen müssen.

Zunächst schien eine Eskalation vermeidbar. Insbesondere in der Hauptstadt Peking reagierte der Sicherheitsapparat während der Protestnacht Ende November mit demonstrativer Zurückhaltung: Unter den Augen der Korrespondenten kam es trotz der massiven Polizeipräsenz zu keinen dokumentierten Festnahmen. Doch die Stille war trügerisch. Etliche Chinesen haben in den Tagen nach dem Protest Besuch von der Polizei erhalten. Einen Fall hat die „New York Times“ recherchiert, die mit einem Teilnehmer aus Peking sprach: Der Chinese hatte in jener Nacht mit einer Sturmhaube sowie Taucherbrille seine Identität zu schützen versucht. Geholfen hat dies wenig: Am nächsten Tag standen die Polizisten vor seiner Tür. Nach einem aggressiven Verhör ließen sie ihn mit einer Verwarnung davon kommen.

30 Stunden lang in Untersuchungshaft gehalten

Andere Demonstranten hatten weniger Glück, wie eine Recherche der französischen Zeitung „le monde“ belegt: Dessen Shanghai-Korrespondent interviewte einen Chinesen, der 30 Stunden lang in Untersuchungshaft gehalten wurde, sich für eine Leibesvisitation nackt ausziehen musste und mit homophoben Beleidigungen beschimpft wurde. Das Smartphone des Mannes hat die Polizei eingezogen. Doch auch er scheint vorerst keine weitergehenden Konsequenzen befürchten zu müssen.

Die historischen Proteste haben – mehr als drei Jahrzehnte nach der Studentenbewegung vom Tiananmen-Platz – offengelegt, welch umfassende Methoden dem chinesischen Überwachungsapparat mittlerweile zur Verfügung stehen: Die Kameras, die praktisch jeden öffentlichen Quadratmeter in den Städte abdecken, können dank ihrer Gesichtserkennungssoftware auch Personen mit Masken oder Sonnenbrillen identifizieren. Und ausgerechnet das auf GPS-Daten basierte „contact tracing“, welches während der Pandemie flächendeckend eingesetzt wurde, fand nun auch zum Ausfindigmachen der Demonstranten Anwendung.

Von einigen Demonstranten fehlt jede Spur

Für einige von ihnen wird der politische Protest weitaus gravierendere Folgen haben als lediglich eine kurze Untersuchungshaft. Insbesondere ist um das Schicksal eines 27-jährigen Chinesen zu bangen: Dieser hatte während der Proteste in Shanghai mehrfach den Namen des Präsidenten fragend in den Nachthimmel geschrien: „Xi Jinping?“. Die Menge entgegnete daraufhin: „nieder mit ihm!“. Am nächsten Tag wurde der junge Mann in der Cocktailbar, wo er als Kellner arbeitete, von der Polizei abgeführt. Seither fehlt von ihm jede Spur. Auch eine Studentin an der „Nanjing Universität für Kommunikationswissenschaften“, die sich als erste mit einem weißen Blatt Papier abfotografierte – das spätere Symbol der Protestbewegung -, soll ebenfalls weiterhin verschwunden sein.

Und selbst im Ausland können sich chinesische Staatsbürger nicht sicher fühlen. Unter dem Pseudonym „Lehrer Li“ hat ein junger Mann mit Wohnsitz in Italien einen Twitter-Account errichtet, dem knapp 850 000 User folgen. Dort ist Li zum zentralen Verteiler für Informationen über die Protestbewegung geworden. Doch trotz des Pseudonyms haben chinesische Ermittler die Identität von „Lehrer Li“ ausfindig gemacht – und seinen in China lebenden Eltern einen einschüchternden Besuch abgestattet.