Der Applaus ist ihnen sicher: die Schauspieler des Tournee Theater Stuttgart tingeln mit ihren Stücken durch die Provinz – und erleben dabei Erstaunliches.
Wären wir in einem richtigen Theater, hätte die Inspizientin längst vorgewarnt, damit der Kollege vom Beleuchtungsteam weiß: Sobald die Frau auf der Bühne zum Mann sagt „Willst du mit mir schlafen?“, muss das Licht ausgehen. Denn dann ist Pause. Aber wir sind nicht in einem Theater, sondern in der Multifunktionshalle von Winzerhausen, einem Dorf, das amtlich zu Großbottwar gehört. Multifunktion meint in erster Linie Sport: Kinderturnen, Tischtennis und Yoga. Deshalb gibt es in der Halle auch keine Scheinwerfer, sondern nur schnöde Deckenbeleuchtung. Und die hätte der Hausmeister vor der Pause langsam runterdrehen sollen. Er hat seinen Einsatz verpatzt.
Klaus Ellmer, der doch eigentlich gerade den kauzigen Alex spielt, nimmt es halbwegs gelassen. „Egal“, sagt er mitten in die Szene hinein, „Pause!“ Er scheint es gewöhnt zu sein, dass gelegentlich etwas schief geht bei den Gastspielen des Tournee Theaters Stuttgart, das heute nach Winzerhausen gekommen ist mit seinem Stück „Heisenberg“ und einer Handvoll Requisiten – mit Klappstühlen, Klapptisch und Paravent, einer Gartenbank zum Zusammenklappen, Geschirr und einer Flasche Rotwein, in der vermutlich Traubensaft steckt. Die Dekorationen des Tournee Theaters bemessen sich an der Größe des Autos von Klaus Ellmer. „Das müssen die Regisseure wissen“, sagt er, „dass ihr Bühnenbild da reinpassen muss.“
Einsatz in „hochkulturfernen Gebieten“
Klaus Ellmer hat schon viele Dekorationen durch die Weltgeschichte kutschiert. Seit 30 Jahren ist der Hobbyschauspieler auf Tour – 24 Produktionen sind im Lauf der Zeit entstanden, 150 Schauspielerinnen und Schauspieler waren im Einsatz. Und nach mehr als tausend Gastspielen in Friolzheim, Deufringen oder Oberteuringen, in Bopfingen oder Schwanstetten kann sich das Tournee Theater Stuttgart mit Fug und Recht auf die Fahnen schreiben, „in hochkulturfernen Gebieten ein klein wenig einen kulturellen Auftrag zu erfüllen“, wie es Klaus Ellmer beschreibt.
Die Fotos auf seinem Handy scheinen gar kein Ende zu nehmen. In Stadthallen, Aulen und Burgen haben sie schon gespielt, in Ratssälen und Kurhäusern, in professionellen Theatern und eben auch in nüchternen Multifunktionshallen wie diesmal in Winzerhausen. Die Gastgeber haben sich aber bemüht, das Beste aus der umgebauten Kelter zu machen – mit ein paar Primeln und Knabberzeug auf den Stehtischen. Trotzdem wirkt das Zweipersonenstück ein wenig verloren auf der riesigen Bühne, auf der eine komplette Blaskapelle Platz hätte. Eine Hinterbühne gibt es dagegen nicht.
Also stöckelt Steffi Bepunkt – es ist ein Künstlername – bei ihrem ersten Auftritt kokett durch den Saal und nimmt mit großer Geste ihren Kaugummi aus dem Mund. Als sie ihn an die Wand der Multifunktionshalle klebt, hat sie schon die ersten Lacher auf ihrer Seite. Steffi Bepunkt spielt in der englischen Komödie eine reichlich exzentrische und aufgekratzte Frau, die sich kühn an den schrulligen Alex heranmacht. Das Stück von Simon Stephens wird oft und gern gespielt und ist auch schon verfilmt worden. Die Rolle der Georgie ist dankbar, aber Steffi Bepunkt hat auch ganz schön viel zu tun. Sie muss nicht nur als Georgie alles aufbieten, um das Herz dieses mürrischen und einsamen Wolfs zu erweichen, auch als Darstellerin hält sie die Inszenierung in Schwung. Viel Text und Dauerpräsenz während dieser zwei Stunden Theater.
Dem Publikum gefällt’s. Mehr als 120 Leute sind gekommen. Sie habe im Gemeindeblättchen von dem Gastspiel gelesen, erzählt eine ältere Dame aus Oberstenfeld, die mit ihrem Mann da ist, „weil es hier auf dem Land ja nicht so oft Vorstellungen gibt“. Sogar der Ortsvorsteher hat sich die Ehre gegeben und begrüßt das Publikum persönlich in „unserem kleinen Schmuckstück“, in dem man immer mal wieder Kultur anbiete. „Wir sind gespannt und freuen uns.“
Vom Bauerntheater zum „Kammerspiel“
15 Euro haben die Karten gekostet, reich werden die Schauspieler des Tournee Theaters davon nicht. Aber das war auch nicht der Grund, weshalb Klaus Ellmer anfing, Theater zu spielen. Inzwischen ist er in Rente, davor war er als Ingenieur tätig und spielte in seiner Freizeit zunächst Bauerntheater, dann Boulevard, danach zehn Jahre Commedia dell’arte – und heute „Kammerspiel“, wie er es nennt. Eigentlich wollte er nur als Darsteller auf die Bühne, „aber ich war gleich der Chef aufgrund meiner Eloquenz und Energie“, sagt er und ergänzt stolz, dass er einmal sogar zum „Landespreisträger Mundart“ gekürt wurde.
Als Chef ist Klaus Ellmer nicht nur für den Transport der Dekoration zuständig, sondern sucht auch die Stücke aus. Das ist für eine Amateurtruppe gar nicht so einfach. Als Klaus Ellmer vor Jahren „Gott des Gemetzels“ auf der Bühne sah, war er begeistert. „Aber es gibt eine Hackordnung“, erklärt er. Erst erhalten die großen Staatstheater die Rechte an Stücken, während die Amateurbühnen ganz am Ende der Hierarchie stehen. Deshalb war Klaus Ellmer mehr als überrascht, als eines Tags doch noch die Nachricht des Verlags eintrudelte, dass das Tournee Theater nun „Gott des Gemetzels“ aufführen dürfe.
Aber jetzt steht erst einmal „Heisenberg“ auf dem Programm, wobei das Stück nichts mit dem Physiker Werner Heisenberg zu tun hat. Vermutlich spielt der Titel auf die Unschärferelation an, die besagt, dass man bestimmte Eigenschaften eines Teilchens nicht gleichzeitig exakt bestimmen kann. Deshalb weiß man auch nicht so genau, was Alex tun wird, als Georgie ihn plötzlich um 30 000 Euro bittet. Ist sie womöglich eine Heiratsschwindlerin? Oder will sie ernsthaft ihren Sohn in Amerika suchen?
Aber so fröhlich, wie Georgie diesen alten Kauz bisher bezirzt hat, hält sie wohl niemand im Saal für so berechnend und durchtrieben, dass sie den armen Alex nur ausnehmen will. Das Publikum geht mit, manchmal hört man Kommentare wie „Der hält den Lidl-Prospekt falsch rum!“ Als Alex nach der ersten Nacht mit der viel jüngeren Georgie in Pyjama-Hose auf die Bühne schlurft und sich den Puls fühlt, ist das Gelächter groß. „Der ist ganz fertig“, sagt jemand kichernd. Es gibt sogar Szenenapplaus, als Georgie im kurzen Hemdchen dazukommt und ihren nicht mehr ganz taufrischen Liebhaber kess begrüßt mit den Worten „Good morning, mein Hengst“.
So eine große Bühne sei schon eine Herausforderung, erzählt Steffi Bepunkt. Ihr sind die intimen Spielorte eigentlich lieber, an denen man dem Publikum näher ist. Spaß macht ihr die Rolle der Georgie aber so oder so, das merkt man. „Es ist schön, so eine überdrehte Person zu spielen. Das macht die Leute neugierig, sie wollen wissen, was das für ein Mensch ist.“
Noch eine Produktion – dann ist Schluss mit den großen Rollen für Ellmer
Während der Wintermonate sitzt sie meist zwei, drei Mal pro Woche mit Klaus Ellmer im Auto bei Fahrten zu einem Auftritt. Meistens geht es nach der Vorstellung wieder nach Hause. Wenn sie im Norden oder im tiefen Bayern unterwegs sind, wird auch mal eine Übernachtung fällig. „Aber es ist gut mit dem Privatleben vereinbar“, erzählt die 43-Jährige, die im Hauptberuf Lehrerin an einer Sonderschule ist. Vor ein paar Jahren beschloss sie, nebenher Unterricht zu nehmen an der Stuttgarter Schauspielakademie CreArte. Über die kamen Klaus Ellmer und sie denn auch in Kontakt.
Für Klaus Ellmer ist längst klar: „Ich werde der Steffi das Theater übergeben.“ Eine Produktion will er noch machen – dann ist Schluss, zumindest mit den großen Rollen. Auftreten will er freilich weiterhin „aber nix mit Text“. Er hat schon einen Plan: Erst wird er den Pizzaboten spielen, der klingelt, dann ein Paket abliefern und zum Schluss noch das Gas ablesen. Ein Leben ganz ohne Bühnenauftritte scheint er sich noch nicht vorstellen zu können.
Den Winzerhäusern kann das nur Recht sein. „Nett ist es“, sagt eine Dame in der Pause, in der es Wasser und „Secco“ für 2,50 Euro das Glas gibt. Sandra Horwath-Duschek, die im Kultur- und Stadtmarketing von Großbottwar tätig ist, betreut die Vorstellung. Das heißt: Tickets verkaufen, Getränke ausschenken und natürlich die Künstler versorgen. Die haben in der kleinen Garderobe nicht nur Getränke stehen, sondern auch Brötchen, Butter, Salamistangen und Cocktailtomaten. Die Schauspieler vom Tournee Theater, erzählt Horwath-Duschek, „sind sehr flexibel“ – da hätte sie schon mit ganz anderen Künstlern zu tun gehabt. „Da erlebt man manche Sonderwünsche.“
Vermutlich muss man als tingelnde Amateurtheatergruppe ein Gutmaß an Pragmatismus mitbringen und bodenständig sein, schließlich müssen die beiden Schauspieler zwischen den Szenen selbst umbauen und die Tassen wieder in die Bananenkiste räumen, den Frühstückstisch verschwinden lassen und die Gartenbank, die schon am Anfang zum Einsatz kam, erneut aufklappen. Musik oder Bahnhofsgeräusche werden hier nicht von Geisterhand aus dem Off eingespielt, sondern für sie schaltet Klaus Ellmer die kleine Anlage an der Seite ein. Alles kein Problem. Sogar als ein Telefon klingelt, bleiben die beiden entspannt – und ruft Steffi Bepunkt „Handy“ in den Saal.
Zugegeben, aus künstlerischer Sicht kann Amateurtheater nicht mit einer subventionierten Staatstheaterproduktion mithalten, muss es aber auch gar nicht. Die Hauptsache ist, das es schafft, was auch an diesem Abend das Wichtige ist: allen einen unterhaltsamen, aber auch anregenden Theaterabend zu ermöglichen. Klaus Ellmer ist lang genug dabei, um zu wissen, dass dazu immer auch ein wenig Lokalkolorit gehört, weil das das Publikum besonders erfreut. So haben sie „Heisenberg“ ein wenig umgeschrieben und passend für diesen Abend einen kleinen Dialog ergänzt, der beim Publikum großen Erfolg hat: „Gehst du manchmal nach Großbottwar?“ – „Verschlafenes Nest!“ – „Winzerhausen?“ – „Noch nie gehört.“