Das Präparat Cytotec 200 kann Wehen auslösen und wird daher häufig zur Einleitung von Geburten eingesetzt – auch in Stuttgart. Foto: dpa/Sina Schuldt

Berichte über Todesfälle im Zusammenhang mit dem Medikament Cytotec sorgen derzeit für Wirbel. Das Präparat wird zur Geburteneinleitung eingesetzt – obwohl es dafür offiziell nicht zugelassen ist. Was hat es mit den Pillen auf sich? Und wie geht man in Stuttgarter Kliniken damit um?

Stuttgart - Es ist eigentlich ein Magenschutzmittel, doch es wird häufig dazu eingesetzt, Geburten auszulösen: Das Medikament Cytotec. Aktuell sorgen Medienberichte für Unsicherheiten im Zusammenhang mit den Tabletten. Fragen und Antworten dazu.

Worum geht es in der Debatte?

Cytotec wird in Deutschland immer wieder von Geburtsmedizinern zur Einleitung der Wehen eingesetzt – obwohl das Medikament für diesen Zweck nicht zugelassen ist. In Einzelfällen könne das zu schweren Komplikationen bei Mutter und Kind führen – bis hin zum Tod von Babys, berichten die Süddeutsche Zeitung (SZ) und der Bayerische Rundfunk (BR). Demnach ziehen Frauen wegen des Medikaments in Deutschland und Frankreich vor Gericht. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) bestätigt, dass Risiken bekannt seien, wenn das Medikament Cytotec außerhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs verordnet werde. Die Anwendung werde aber unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weiter empfohlen.

Wieso wird das Medikament so eingesetzt?

Cytotec ist in Deutschland als Magenmedikament zugelassen – zum Schutz der Schleimhaut und des Magens. Laut der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hat der Wirkstoff Misoprostol aber auch Effekte an anderen Organen, führe etwa zu Kontraktionen der Gebärmuttermuskulatur. Ärzte können die Pille deshalb im Rahmen ihrer Therapiefreiheit auch als Wehenauslöser einsetzen, wenn ihnen dies angemessen erscheint und eine Schwangere vorher zugestimmt hat. Als „Off-Label-Use“ wird dieses Vorgehen bezeichnet. Den Medienberichten zufolge verwendet laut einer bisher unveröffentlichten Umfrage der Universität Lübeck rund die Hälfte der deutschen Kliniken Cytotec.

Von der DGGG heißt es, der in dem Medikament enthaltene Wirkstoff Misoprostol sei bei Experten zur Geburtseinleitung absolut nicht umstritten. Fast alle Perinatalzentren höchster Ordnung würden diesen Wirkstoff verwenden – allerdings in Form eines Präparats mit geringerer Dosierung. „Es gibt keinen Wirkstoff zur Geburtseinleitung, der ähnlich gut in Studien untersucht wurde“, so die DGGG.

Was ist über die Risiken bekannt?

In Einzelfällen seien nach der Gabe von Cytotec schwere Gehirnschäden wegen einer Sauerstoffunterversorgung des Kindes aufgetreten, heißt es in den Berichten von SZ und BR. In seltenen Fällen sei die Gebärmutter der Frauen gerissen. Grund sei demnach, dass das Medikament im Einzelfall sehr starke Wehen oder gar Wehenstürme auslösen könne. Mehrere Babys in Deutschland und Frankreich seien laut Gutachten, Fallberichten und Gerichtsurteilen gestorben. Neu sind solche Zweifel an Cytotec nicht. Auf europäischer Ebene wurde unter Beteiligung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Aktualisierung der Fachinformationen empfohlen. Auch die US-Arzneimittelbehörde FDA warnt seit Jahren vor der Verwendung der Tabletten zur Einleitung der Wehen, weil es zu Todesfällen kam.

Dem BfArM lagen bis Ende Oktober 2019 insgesamt 74 Verdachtsmeldungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen in Zusammenhang mit Cytotec bei der Geburtseinleitung vor, sagt Sprecher Maik Pommer. Darunter sei ein Todesfall: Ein Neugeborenes sei vier Tage nach der Geburt durch eine Lungenblutung gestorben. Die Mutter hatte Cytotec und ein weiteres Präparat (Misodel) zur Geburtseinleitung erhalten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bevorzuge den Einsatz von zugelassenen Arzneimitteln gemäß der jeweiligen Zulassungsbedingungen, sagt Sprecher Maik Pommer. Denn dafür lägen Daten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit vor. Bei anderen Anwendungen sei das oft nicht der Fall.

Wie sehen das andere Ärzte – und wie geht man in Stuttgarter Kliniken mit Cytotec um?

„Wir setzen das Medikament seit 17 Jahren ein – nach eingehender Bewertung von Erkenntnissen“, sagt Ulrich Karck, der Ärztliche Direktor der Frauenklinik am Klinikum Stuttgart. In all der Zeit sei es in keinem einzigen Fall zu Komplikationen gekommen – allerdings gebe man Patientinnen zur Einleitung einer Geburt nur eine Viertel Tablette, also eine niedrige Dosierung. Um die Fälle bewerten zu können, bei denen es laut Berichten zu Komplikationen kam, müsste er etwa die Dosierung kennen, sagt Karck. Es sei nun wichtig, mehr darüber zu erfahren, um Leitlinien zu überprüfen. „Im Vergleich zu alternativen Präparaten ist die Gabe von Cytotec nach unserer Erfahrung aber ein eher schonendes und risikoarmes Vorgehen.“ Vorausgesetzt man beachte, dass das Mittel nicht nach einer vorangegangenen Kaiserschnitt-Geburt angewandt werden dürfe.