Sollte sich der Virus auf der ganzen Welt ausbreiten, spricht man von einer „Pandemie“. (Symbolbild) Foto: imago images / Science Photo Library

Noch zögert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei der globalen Ausbreitung von Covid-19 von „Pandemie“ zu sprechen. Ist das nur noch eine Frage der Zeit?

Stuttgart - China, Südkorea, Iran, Italien, Deutschland - das neuartige Coronavirus breitet sich immer weiter aus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rief mit Blick auf den Erreger der Atemwegserkrankung Covid-19 bereits am Montag zur Vorbereitung auf eine „mögliche Pandemie“ auf, vor der offiziellen Einstufung der Krankheitswelle als „Pandemie“ schreckt sie aber weiterhin zurück.

Der Begriff setzt sich aus den altgriechischen Wörtern „pan“ für „alles“ und „demos“ für „Volk“ zusammen. Anders als eine Epidemie ist eine Pandemie nicht örtlich beschränkt, sondern breitet sich länder- und kontinentübergreifend aus. 

Pandemie: ganze Weltbevölkerung betroffen

Die WHO definiert eine Pandemie als eine Situation, in der die ganze Weltbevölkerung einem Erreger potenziell ausgesetzt ist und „potenziell ein Teil von ihr erkrankt“, wie der WHO-Direktor für Notfälle, Michael Ryan, erläutert. Darüber, wie ansteckend oder tödlich die jeweilige Krankheit ist, sagt der Pandemie-Begriff jedoch nichts aus.

Laut WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus müssen nun zwar alle Länder alles ihnen Mögliche tun, um sich „auf eine potenzielle Pandemie“ vorzubereiten. Derzeit gebe es aber „keine unkontrollierte weltweite Ausbreitung dieses Virus“, auch verursache der Erreger nicht massenhaft Todesfälle.

Lesen Sie Neues zum Corona-Virus in unserem Newsblog

In China, wo das neuartige Coronavirus im Dezember seinen Ausgang nahm, zählten die Behörden bislang knapp 78.500 Infektionen und mehr als 2700 Todesfälle. Mittlerweile geht die Zahl der Neuinfektionen in der Volksrepublik nach offiziellen Angaben zurück, dafür entwickelten sich in anderen Ländern neue Infektionsherde. Am Mittwoch meldete die WHO erstmals mehr neu registrierte Fälle außerhalb Chinas als in der Volksrepublik selbst.

Erreger greift um sich

In Südkorea wurden bereits knapp 1600 Fälle festgestellt, zwölf Menschen starben dort. In Italien, dem größten Infektionsherd in Europa, wurden binnen weniger Tage 400 Infektionen nachgewiesen. Zwölf Infizierte starben bis Mittwoch an dem Erreger. Im Iran ist die besonders hohe Zahl von 26 offiziell bestätigten Todesopfern besorgniserregend.

Es gebe „Epidemien in verschiedenen Teilen der Erde“, die die Länder in verschiedener Weise träfen und passgenaue Maßnahmen erforderten, konstatierte Tedros. Dementsprechend hat die WHO ihre Einstufung des neuartigen Coronavirus seit dem 30. Januar nicht geändert, als sie dessen Ausbreitung als „öffentlichen Gesundheitsnotfall von internationalem Interesse“ einstufte.

Wie das Virus kategorisiert wird, ist laut WHO-Sprecher Tarik Jasarevic ohnehin zweitrangig. „Von Definitionen und Begrifflichkeiten abgesehen bleibt unser Rat derselbe“, sagt er.

Ist die Begriffsfrage nur eine Ablenkung?

Nach Einschätzung des Mediziners Bharat Pankhania von der englischen University of Exeter handelt es sich beim neuartigen Coronavirus bereits „in allem außer dem Namen“ um eine Pandemie. Es sei „nur eine Frage der Zeit, bis die Weltgesundheitsorganisation anfängt, den Begriff in ihren Mitteilungen zu verwenden“.

Der Infektiologe David Heymann von der London School of Hygiene & Tropical Medicine warnt, die Einstufung als „Pandemie“ könne von den wirklich wichtigen Fragen ablenken. „Es ist notwendig, die gegenwärtige Lage in jedem einzelnen Land zu verstehen“, sagte er.

Auch Tedros warnte, die Einstufung als „Pandemie“ könnte mehr schaden als nutzen. Der Begriff „entspricht derzeit nicht den Fakten“, warnte der WHO-Chef. Jetzt sei „nicht die Zeit, sich darauf zu konzentrieren, welches Wort wir verwenden“. Selbst wenn die WHO eine Pandemie ausrufen würde, mahnte Tedros, würde dies „heute keine einzige Infektion verhindern und kein einziges Leben retten“.