Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stellt einen gemeinsamen Appell mit Arbeitgebern und Gewerkschaften zur stärkeren Nutzung des Homeoffice in Zeiten der Corona-Pandemie vor. Foto: dpa/ Bernd von Jutrczenka

Wegen steigender Coronazahlen appelliert der Bundespräsident gemeinsam mit den Sozialpartnern an die Bevölkerung, das Büro nach Möglichkeit zu meiden. Schon bald könnte ein noch härterer Lockdown kommen.

Berlin - Pandemiezeiten sind Ausnahmezeiten, das gilt auch für den Bundespräsidenten. Normalerweise mischt sich das Staatsoberhaupt nicht in tagesaktuelle Fragen ein. Und gemeinsame Auftritte mit Interessenvertretern sind eine Seltenheit.

Unter Corona-Bedingungen aber ist nichts normal, weshalb Frank-Walter Steinmeier am Freitag einen außergewöhnlichen Termin absolvierte: Im Schloss Bellevue in Berlin ergriff er gemeinsam mit Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger und DGB-Chef Reiner Hoffmann das Wort, um im Sinne des Infektionsschutzes für eine stärkere Nutzung des Homeoffice zu werben.

„Ermöglichen Sie das Arbeiten von zu Hause aus“, appellierte der Bundespräsident an die Arbeitgeber im Land. Und an die Arbeitnehmer gerichtet sagte er: „Wenn Sie die Möglichkeit haben und es bisher noch nicht tun, arbeiten Sie im Homeoffice. Gehen Sie nicht ins Büro, wenn Sie nicht zwingend müssen.“

„Es kann noch mehr getan werden“

Steinmeier und den Sozialpartnern geht es darum, angesichts der angespannten Corona-Lage die Zahl der Kontakte weiter zu reduzieren – wenn möglich, auch im Berufsleben. Der Bundespräsident und die Chefs von Gewerkschaftsbund und Arbeitgebervereinigung formulierten dazu auch einen schriftlichen Appell. „Die aktuelle Zahl der Infektionen und insbesondere die neue Variante des Coronavirus erfordern von uns weitere Anstrengungen“, heißt es darin. „Wir müssen gemeinsam im Rahmen unserer Möglichkeiten alles tun, um weitere Infektionen zu vermeiden, um damit die Gesundheit und das Leben vieler zu schützen.“

Weiter heißt es, Arbeitgeber Beschäftigte und Betriebsräte seien bislang sehr verantwortungsvoll mit der schwierigen Situation umgegangen. Der Arbeitsplatz sei ein vergleichsweise sicherer Ort. Dennoch müssten jetzt die Kontakte weiter eingeschränkt und die Mobilität nochmals verringert werden. Längst nicht für jeden Beruf sei Homeoffice möglich, oft sprächen auch betriebliche Abläufe dagegen. Viele Firmen böten es ihren Beschäftigten gleichwohl an. „Es kann jedoch noch mehr getan werden – wobei hier Arbeitgeber, Beschäftigte und Betriebsräte gemeinsam in der Pflicht stehen, diese Möglichkeit verantwortungsvoll zu nutzen.“

Mit dem Appell blenden Gewerkschaften und Arbeitgeber ihren Konflikt über ein mögliches Recht auf Homeoffice vorübergehend aus. Der Appell kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem sich Republik auf eine weitere Verschärfung des bestehenden Corona-Lockdowns gefasst machen muss. Bereits für den kommenden Dienstag ist die nächste Konferenz von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Länder-Ministerpräsidenten geplant. Ursprünglich sollte sie erst Ende des Monats stattfinden. Weil die Zahl der Corona-Neuinfektionen und -toten aber weiterhin dramatisch hoch ist, wollen die Beteiligten nicht länger warten. Mit großer Sorge beobachten Merkel und die Ministerpräsidenten auch, wie rasch sich die englische, besonders ansteckende Virusmutation in anderen europäischen Ländern ausbreitet. Raum für Lockerungen der Schutzmaßnahmen in Deutschland sieht Merkel bisher nicht.

Industrie warnt vor komplettem Herunterfahren

Mehr Homeoffice scheint eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten zu sein, die sozialen Kontakte im Land ohne verheerende Einschnitte noch weiter zu reduzieren. Über all dem schwebt die Sorge, dass die Pandemielage vollends außer Kontrolle geraten und die Politik zu weit drastischeren Maßnahmen gezwungen werden könnte – bis hin zur Schließung von Betrieben als letztes Mittel.

Um dieses Szenario abzuwenden, suchen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften auch auf anderen Ebenen fieberhaft nach Wegen, um das Thema Homeoffice zu forcieren. Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) plant für den 21. Januar einen Gipfel dazu. Sie sagte: „Wir müssen trotz der wirksamen Hygienekonzepte in den Betrieben persönliche Kontakte weiter reduzieren – in den Betrieben selbst, aber auch auf dem Weg zum Arbeitsplatz und vom Arbeitsplatz nach Hause.“ Die Wirtschaft kämpfe bereits jetzt in fast allen Bereichen mit den massiven Auswirkungen der Pandemie.

Industriepräsident Siegfried Russwurm sagte: „Die deutsche Industrie warnt vor einem kompletten Herunterfahren der Wirtschaft. Es gibt keine Evidenz dafür, dass Produktionsstandorte der Industrie Corona-Hotspots sind.“ Werde die Produktion für vier Wochen heruntergefahren, dauere es weitere vier Wochen, um sie wieder hochzufahren. „Das bleibt dann nicht ohne Folgen für das Wirtschaftswachstum.“ Unternehmen sollten Homeoffice so weit wie möglich nutzen. Der Hauptgeschäftsführer des Maschinenbau-Verbands VDMA, Thilo Brodtmann, sagte: „Es gilt die Produktion am Laufen zu halten, auch im gesellschaftlichen Interesse.“ Die Unternehmen der Branche sorgten verantwortungsvoll dafür, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten können, wenn ihre Jobs nicht direkt an die Produktion gebunden sind. Zudem setzen die Unternehmen für den Produktionsbereich Corona-Schutzmaßnahmen um.