Der Gesundheitsminister Fahrettin Koca bei der Impfung Foto: AFP/AYTUG CAN SENCAR

Präsident Erdogan feiert das im Land entwickelte Vakzin Turkovac als Triumph, doch Experten zweifeln an Wirksamkeit und Ärzte raten zur Vorsicht.

Ankara - National und lokal“ ist eine Lieblingsformel des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Wann immer die Türkei ein Produkt entwickelt und herstellt, ist das für ihn ein Beweis der Leistungsfähigkeit seines Landes. Nun verkündete Erdogan den Erfolg eines „nationalen und lokalen“ Corona-Impfstoffes: Turkovac wird mit einer Notfallzulassung seit Jahresbeginn verimpft. Erdogan feiert den Impfstart als Triumph, doch Experten im eigenen Land haben erhebliche Zweifel an dem Vakzin. Die türkische Ärztekammer weigert sich, eine Impfung mit Turkovac zu empfehlen.

Wie das chinesische Präparat Sinovac gehört Turkovac zu den traditionellen Impfstoffen, bei denen inaktive Virus-Bestandteile genutzt werden. Entwickelt wurde Turkovac von Wissenschaftlern im zentralanatolischen Kayseri. Kurz vor Weihnachten gab Erdogan den Start der Massenproduktion bekannt. Die Türkei sei damit in den exklusiven Club der Länder mit einem eigenen Corona-Vakzin aufgestiegen. Manche Türken hätten auf einen nationalen Impfstoff gewartet, betonte der Präsident: Sie könnten sich jetzt zur Impfung anmelden. Außerdem sei die Türkei bereit, das Medikament an andere Staaten zu liefern. Die Zulassung bei der Weltgesundheitsorganisation ist beantragt.

Die Impfkampagne hatte mit Sinovac begonnen

Zu Beginn der türkischen Impfkampagne vor einem Jahr wurde Sinovac eingesetzt, seit dem Frühjahr steht auch Biontech zur Verfügung. Weil Sinovac als wenig wirksam gilt, können sich Empfänger des chinesischen Medikaments in der Türkei zusätzlich mit Biontech impfen und boostern lassen. Viele Türken werden deshalb jetzt schon zum fünften Mal geimpft. Bisher haben 61 Prozent der 84 Millionen Türken mindestens zwei Impfdosen erhalten. Turkovac soll neuen Schwung bringen. Der Mediziner Ates Kara, Mitglied im Coronabeirat der Regierung, versichert den Türken, das Medikament schütze auch vor Omikron.

Viele Experten teilen Karas Optimismus nicht. Mehmet Ceyhan, einer der angesehensten Virologen des Landes, weist darauf hin, dass wichtige Daten zur Wirksamkeit von Turkovac nicht vorlägen. So seien die Ergebnisse der Phase-3-Untersuchungen nicht veröffentlicht, sagte Ceyhan der Zeitung „Sözcü“. Er wisse nur, dass Turkovac dieselbe Struktur habe wie Sinovac: „Warum sollte es besser sein?“

Immunologe hält den Impfstoff für wirkungslos

Ceyhan spricht dem Turkovac-Anhänger Kara außerdem die wissenschaftliche Kompetenz ab. Sein Kollege habe sich lediglich wegen guter Verbindungen zur Regierung eine führende Position sichern können. Ceyhan wirft der Regierung außerdem vor, schon bei Sinovac den Menschen eine hohe Wirksamkeit vorgegaukelt zu haben.

Die türkische Ärztekammer schloss sich der Kritik an. Von der Regierung seien im Verlauf der Pandemie widersprüchliche Aussagen zu den Impfstoffen gekommen, sagte Kammervorsitzende Sebnem Korur Financi ebenfalls in einem Interview mit „Sözcü“. Er könne nicht auf Turkovac vertrauen.

Der Immunologe Vedat Bulut, Generalsekretär der Ärztekammer, fasste seine Warnung vor Turkovac der Nachrichtenagentur Anka noch drastischer zusammen: „Das ist kein Impfstoff, das ist nur eine Flüssigkeit, die als Impfstoff ausgegeben wird.“