Die zugelassene Höchstzahl von 10 000 Teilnehmern sei nicht überschritten worden, teilen Stadt und Polizei mit. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Stadträte fordern nach der Grundrechte-Demo auf dem Cannstatter Wasen härtere Auflagen und Appelle an Teilnehmer. Laut der Polizei und der Stadt wurde die vorgegebene Teilnehmerzahl von höchstens 10 000 nicht überschritten.

Stuttgart - Die Begeisterung in den Reihen der Demonstrierenden ist auf dem Cannstatter Wasen am Wochenende groß gewesen: Deutlich mehr Menschen als eine Woche zuvor kamen zur sogenannten Mahnwache für das Grundgesetz der Initiative Querdenken 711. Mit bis zu 20 000 Teilnehmer gibt der Initiator Michael Ballweg die Zahl der Protestierenden an – die Stadt hatte die Auflage erteilt, dass es höchstens 10 000 sein dürfen. Dagegen habe er nicht verstoßen, stellen die Stadtverwaltung und die Polizei fest: Bei einer Zählung nach der Veranstaltung – vom Polizeihubschrauber aus waren Aufnahmen gemacht worden – kam heraus: „Die Auflage, höchstens 10 000 Menschen aufs Gelände zu lassen, ist nicht überschritten worden“, sagt der Polizeisprecher Stefan Keilbach.

Doch nach der Veranstaltung hört man in der Stadt viel Kritik an der Demo, aus der Bevölkerung, aber auch von den Kommunalpolitikern. Als erste meldete sich gleich am Samstag die Fraktionsgemeinschaft Puls zu Wort, noch bevor die Demo begonnen hatte. Sie würden sich drastischen Vorwürfen ausgesetzt sehen, da viele Bürger nicht verstehen würden, dass der Gemeinderat nicht in derlei Entscheidungen einbezogen werde. Auch richtet die Puls-Fraktionsgemeinschaft eine Frage an Oberbürgermeister Fritz Kuhn: Sie fragen, welche juristischen Spielräume die Stadt hat, um Demonstrationen dieser Größe besser zu kontrollieren.

Grundsätzlich wird befürwortet, dass die Versammlungsfreiheit Bestand hat

„Für uns steht außer Frage, dass auch Querdenker das Recht auf Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen können. Wir sind aber nicht der Meinung, dass jede Versammlung sinnvoll und jede Meinungsäußerung hilfreich ist“, sagt der Fraktionschef der Grünen, Andreas Winter. Das Bundesverfassungsgericht habe Demos erlaubt, und die Stadt müsse sie nun ermöglichen. Er appelliert aber an alle, sich genau anzuschauen, mit wem sie da gemeinsam protestieren. Es seien unter anderem viele Verschwörungstheoretiker und professionelle Agitatoren sowie Vertreter rechter Parteien dabei.

„Echt schwierig“ findet der FDP-Fraktionschef Matthias Oechsner das Thema. „Man kann eine Demo guten Gewissens nicht verbieten“, sagt er. Dazu sei die Versammlungsfreiheit zu wichtig. Aber man könne durchaus an die Menschen appellieren, dass sie dadurch andere in Gefahr bringen: „Die Schutzmaßnahmen sind ja dafür da, dass man andere nicht ansteckt, denn die Infektion kann man schließlich auch symptomfrei haben“, sagt Oechsner.

Für die CDU sagt deren Fraktionsvorsitzender Alexander Kotz: „Ich finde alle Veranstaltungen dieser Art in dieser Zeit kritisch.“ Auch wenn es gelinge, den Abstand auf dem Wasen einzuhalten, bestehe doch bei der An- und Abfahrt zum Demogelände die Gefahr, sich anzustecken. „Wir müssen nach der Coronazeit mal schauen, ob man im 21. Jahrhundert vielleicht bei einer Demo nicht mehr physisch anwesend sein muss“, sagt Kotz. Er könnte sich vorstellen, über eine Verlegung in den virtuellen Raum zu diskutieren – und darüber, dass das eine Auflage für den Veranstalter sein könnte, ins Netz auszuweichen, wenn es draußen in der Stadt zu Problemen führe.

Völliges Unverständnis für Großveranstaltung

„Mir gebricht es an Verständnis“, sagt Rose von Stein (Freie Wähler) mit Blick auf die Großveranstaltungen. Man habe mit vielen Einschränkungen erreicht, dass man wieder halbwegs normal leben könne. Das werde durch die Demos und das Zusammenkommen Tausender gefährdet.

Eine klare Botschaft hat der SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Körner: „Demos, die die Gesundheit gefährden, dürfen auch nach dem Grundgesetz nicht stattfinden. Deshalb darf sich das, was am Samstag auf dem Wasen stattgefunden hat, nicht wiederholen. Das Land muss bei seiner Rechtsverordnung und die Stadt mit strengeren Auflagen reagieren.“ Körner bezeichnet die Demo als unsolidarisch – gegenüber allen, die sich an Regeln halten, dem medizinischen Personal und allen, die nicht krank werden sollen.

Tom Adler (Linksbündnis) beurteilt die Demo inhaltlich kritisch: „Ich sehe, dass sich auf dem Wasen auch Menschen versammeln, die durch die Infektionsschutzauflagen in schwierige Situationen gekommen sind, zum Beispiel doppelt belastete Frauen im Homeoffice mit kleinen Kindern und kleinen Wohnungen. Die Antworten die ihnen dort von der Bühne angeboten werden, sind aber keine“, sagt er. Eine Handhabe sieht er nicht: „Wer die Shoppingmalls öffnet, kann nicht begründen, warum an Kundgebungen härtere Maßstäbe angelegt werden müssen.“

Die Inhalte finden im Gemeinderat bei der AfD Anklang: „Ich wäre hingegangen, aber ich war verhindert“, sagt Michael Mayer.