Wohin führt die Kurzarbeit? Die Brücke ins normale Leben könnte dieses Mal viele direkt in die Arbeitslosigkeit tragen. Foto: picture alliance / dpa/Julian Stratenschulte

Die harten Schutzmaßnahmen waren am Anfang nötig, um die Gesundheit zu schützen. Doch die schützenswerte Existenz des Menschen umfasst mehr als das nackte Überleben, meint StN-Autor Klaus Köster.

Stuttgart - Noch nie hat die Politik in so kurzer Zeit so viel Geld ausgegeben. Allein 600 Milliarden Euro schwer ist das Rettungspaket, das der Bund auf den Weg gebracht hat, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abzufedern. Doch selbst wenn die Politik aus allen Rohren schießt, scheint die Wirkung zu verpuffen. Einer Umfrage des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo zufolge plant ein beträchtlicher Teil der Firmen trotz aller Hilfen mit Jobabbau. 58 Prozent sind es in der Gastronomie, 39 Prozent in der Autoindustrie. In der Finanzkrise erwies sich die Kurzarbeit als Brücke, die über ein tiefes Tal zurück in die Normalbeschäftigung führte. Geht es in der Coronakrise weiter wie bisher, könnte sie dieses Mal viele Menschen in die Arbeitslosigkeit tragen.

Job oder Gesundheit? Wir brauchen beides

Immer deutlicher zeigt sich, dass die Entscheidung zwischen Seuchenschutz und Jobs eine Scheinalternative ist. Wenn die Politik den Eindruck erweckt, erst den Seuchenschutz erledigen und sich dann den Jobs widmen zu können, erzeugt sie eine Illusion, die nur enttäuscht werden kann. Die Demonstrationen gegen die Einschränkungen zeigen, dass das Protestpotenzial wächst – und damit auch der Nährboden für absurdeste Thesen wie die von der Unterdrückung der Menschen durch Diktatoren, die sich als Virologen ausgeben.

Die Wirtschaft ist keine Maschine, die man mit reichlich Benzin am Laufen halten kann. Sie gleicht eher einem Ökosystem, dessen einzelne Elemente in einer so engen Wechselwirkung miteinander stehen, dass sie kaum wahrnehmbar ist. Zu bemerken ist dieses gewachsene, sich immer weiterentwickelnde Geflecht nur, wenn es durchschnitten wird. Dann wirken sich all diese Abhängigkeiten nicht mehr zum gegenseitigen Nutzen aus, sondern sie potenzieren den Schaden für das gesamte System. Die Rettungsmilliarden schützen das System zwar vor dem sofortigen Austrocknen, sind aber völlig ungeeignet, es auch nur ansatzweise wieder zu beleben. Das ist die bittere Lehre aus zwei Monaten Rettungspolitik.

Erfolg kann auch verspielt werden

In der Anfangsphase des Corona-Ausbruchs, als man weder über das Virus noch über die wirtschaftliche Entwicklung verlässliche Einschätzungen hatte, war maximale Vorsicht die richtige Entscheidung. Mit heutigem Wissen über die Entscheidungen von damals zu richten wäre wohlfeil. Noch vor wenigen Wochen lag Deutschland mit seinen Infektionszahlen nur zehn Tage hinter Italien zurück, wo sich eine humanitäre Katastrophe abspielte. Durch hartes Gegensteuern ist es gelungen, Deutschland eine solche Katastrophe zu ersparen. Das kann auch heute nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Doch dieser Erfolg kann auch verspielt werden, wenn man aus ihm den Trugschluss zieht, nun ein Erfolgsrezept gefunden zu haben. Denn er war nur möglich, weil man in der Akutphase der Krisenbewältigung bewusst so tat, als könne die Wirtschaft warten, bis man die Krise im Griff hat. Es wird von Tag zu Tag klarer, wie grundfalsch diese Annahme aus heutiger Sicht war.

Populismus auf allen Seiten

Dass nun allerlei Populisten und Verschwörungstheoretiker mit teilweise absurdesten Behauptungen versuchen, die Schutzmaßnahmen zu diskreditieren, darf kein Grund sein, trotzig an jeder davon festzuhalten. Umgekehrt aber sind auch diejenigen, die Dauer und Ausmaß der heutigen Schutzmaßnahmen kritisch sehen, nicht automatisch Protagonisten eines Profitdenkens, dem menschliches Leben gleichgültig ist. Gerade weil man die medizinische Katastrophe abgewendet hat, kann man sich nun an das noch viel größere Thema heranwagen: von der Existenz der Menschen mehr zu sichern als nur das bloße Überleben.

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de