Nur für das Foto legte der Stuttgarter Hausarzt Hans-Jörg Wertenauer seine Schutzmaske kurz ab. Im Hintergrund zwei Masken, die gerade getrocknet werden. Foto: StN/Klaus Köster

Arztpraxen haben es in Zeiten von Corona schwer. Sie müssen Patienten versorgen – und darauf achten, dass sich das Personal nicht infiziert. Wie bekommt man das unter einen Hut?

Stuttgart - Das Kronjuwel der Hausärzte am Schillerplatz in Stuttgart-Vaihingen befindet sich in einem Schrank des Chefs. Dort lagert Hans-Jörg Wertenauer einen Karton mit insgesamt 30 Atemschutzmasken, die das Personal vor einer Übertragung des Coronavirus schützen. In diesen Zeiten sind die Masken besonders wertvoll. Denn am Markt sind sie allenfalls noch zu Wucherpreisen zu haben. Gingen sie aus, bevor Nachschub da ist, müsste die Praxis schließen. Das wäre fatal – vor allem in einer Zeit, in der die Zahl der Corona-Infizierten rasant steigt.

Masken müssen länger halten

Deshalb hat der 48-jährige Internist in der Praxis eine Regel eingeführt: Wer seine Schutzmaske unvorsichtigerweise vorzeitig verbraucht, muss sich eine neue holen – bei ihm. „Da passt man dann vielleicht noch ein wenig besser auf“, sagt Wertenauer verschmitzt, der in der Region Stuttgart vier Hausarztpraxen betreibt.

Damit die Masken länger halten, dürfen sie seit Kurzem mehrmals verwendet werden – unter Beachtung strengster Hygieneregeln. Man muss sie mit frisch desinfizierten Händen an den Bändern so vom Gesicht ziehen, dass die Außenseite weder mit den Fingern noch mit dem Gesicht in Berührung kommt. Danach muss man sie an den Bändern so an einem sauberen Ort ablegen, dass sich die Wölbung auf der Unterseite befindet. So kann sie trocknen – und ein weiteres Mal verwendet werden.

Immer wieder Lösungen für auftretende Probleme zu finden, um unter schwierigen Bedingungen das Ansteckungsrisiko für Patienten, Ärzte und Praxispersonal zu minimieren und zugleich die Praxis am Laufen zu halten, gehört für Hausärzte wie Wertenauer seit Corona zu den täglichen, fast schon minütlichen Herausforderungen. „Meine große Sorge ist, dass sich ein Mitarbeiter der Praxis mit dem Coronavirus infiziert und viele andere Mitarbeiter dann als Kontaktpersonen ebenso in die häusliche Isolation müssen.“ In diesem Fall müsste die Praxis zwei Wochen lang schließen – und das in einer Zeit, da sich das Virus explosionsartig verbreitet.

Strikte Trennung von Patienten

Um das zu vermeiden, arbeiten die Fachangestellten nur noch in Zweierteams zusammen, die jeweils Abstand von den Kolleginnen halten. Eine strikte Trennung gibt es auch bei den Patienten – in räumlicher wie in zeitlicher Hinsicht. Seit dem vergangenen Jahr, als Wertenauer seine Praxis erweiterte, sind die Behandlungsräume auf zwei Stockwerke verteilt. „Das war damals ein Kompromiss, weil wir dadurch zwei Rezeptionen brauchen“, sagt Wertenauer. „Doch jetzt erweist es sich als Glücksfall.“ Denn nun kann er im unteren Stockwerk alle Patienten mit Atemwegsinfekten empfangen und im oberen nur noch solche, die keinen solchen Infekt haben. „Damit sind die Patienten räumlich voneinander getrennt.“

Ein Teil der Patienten ohne Atemwegsinfekte wird ebenfalls in den unteren Räumen behandelt – und auf andere Weisen von den übrigen Patienten abgeschottet: durch die Vergabe von strikt getrennten Terminen. Von 7.30 bis 9 Uhr ist die normale Sprechstunde, ab 10 Uhr gibt es dort nur noch die Sprechstunde für Menschen mit Symptomen wie Husten, Schnupfen, Schwächegefühl, Fieber, Luftnot, Brustschmerzen und Durchfall. „Dazwischen gibt es eine Pufferzone, die sicherstellen soll, dass sich diese unterschiedlichen Gruppen von Patienten nicht über den Weg laufen.“

Starker Anstieg der Patientenzahlen erwartet

So intensiv Wertenauer sich auch auf das Coronavirus vorbereitet hat – er ist überzeugt, dass mit Blick auf die absehbare Entwicklung noch weitaus mehr getan werden muss. Angesichts der Prognosen des Robert-Koch-Instituts erwartet er „in den nächsten ein bis zwei Wochen einen starken Anstieg der Atemwegsinfekte in unserer Praxis“.

Weil immer mehr Menschen erkranken und kurzfristig ärztlichen Rat benötigen werden, entschloss er sich nun zu einem außergewöhnlichen Schritt: Er wird seine Praxis, die ohnehin schon über 50 Stunden in der Woche Patienten empfängt, nun täglich öffnen. „Wir richten ab sofort samstags, sonntags und feiertags eine Grippesprechstunde von 9 bis 11 Uhr ein“, sagt Wertenauer. Die Sprechstunde, für deren Besuch kein Termin nötig ist, sei gedacht für Menschen mit Symptomen, die auf eine Erkrankung wegen des Coronavirus hindeuten.

Entlastung für die Krankenhäuser

Mit der Sprechstunde will Wertenauer nicht nur die ambulante Corona-Versorgung verbessern, sondern auch dazu beitragen, dass die Krankenhäuser entlastet werden, die durch das Virus einen gewaltigen Ansturm von Menschen mit schweren Erkrankungen wie starker Atemnot erwarten. „Wenn diejenigen, die leichte oder mäßige Symptome verspüren, alle erst mal zum Krankenhaus gehen, wird dies den Kollaps, der dort droht, noch beflügeln.“

Während sich das Gesundheitswesen auf einen riesigen Ansturm von Patienten einstellt, nutzen junge Menschen die schulfreie Zeit, um in großen Gruppen zu feiern. Kürzlich habe er auf dem Nachhauseweg eine Gruppe von 25 Jugendlichen gesehen, die einen Bierkasten dabei hatten. Er habe mit dem Auto angehalten und der Gruppe zugerufen, sie bringe mit diesem Verhalten sich und andere in Gefahr. Die Reaktion sei Gelächter gewesen, nur einer habe sich die Mahnung zu Herzen genommen.

Sich jetzt immer noch in größeren Gruppen zu bewegen hält er für absolut verantwortungslos. „Die Menschen im Gesundheitswesen geben gerade alles, damit das System den absehbaren Ansturm irgendwie verkraftet“, sagt der Mediziner. „Und dann werden diese Anstrengungen dermaßen gedankenlos konterkariert.“ Es sei die Aufgabe der Eltern, die Kinder von solchen Freizeitbeschäftigungen abzuhalten. Allerdings sei der Ernst der Lage bei einem Teil der Menschen offenbar noch immer nicht angekommen.