Auch die Krankenkassen sind von der Coronakrise betroffen. Foto: Thomas Reimer - stock.adobe.com

Die Ausgaben steigen wegen der Pandemie, die Einnahmen sinken wegen der Rezession. Brauchen die Krankenkassen jetzt einen Milliardenbetrag, um es durch die Coronakrise zu schaffen?

Berlin - Kommt jetzt ein Rettungsschirm für die Krankenkassen und ihre 73 Millionen Versicherten? Noch beraten darüber Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Vertreter der Krankenkassen. Doch es ist klar, dass die Rezession und Mehrausgaben durch die Corona-Pandemie die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) enorm belasten.

So meint Achim Kessler, der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, dass die GKV zusätzliche Mittel von 14 Milliarden Euro braucht – und das allein im laufenden Jahr. Diese Summe wird seitens der Kassen zwar nicht offiziell bestätigt. Realistisch ist sie aber allemal. Zwar bezahlt die Bundesregierung einen Teil der Corona-bedingten Zusatzkosten. Und weil viele Versicherte derzeit lieber nicht zum Arzt oder Zahnarzt gehen, werden die Kassen für Zahnersatz oder Heilmittel wie Ergotherapie oder Logopädie weniger Geld ausgeben. Für die Krankenhäuser jedoch – und sie sind mit zuletzt fast 80 Milliarden Euro im Jahr der weitaus größte Einzelposten der GKV – fallen enorme Mehrkosten an. Und dazu kommen Ausgaben der Kassen für Schutzkleidung oder die Corona-Tests.

Plus von 3,8 Prozent in 2020

Extra-Kosten sind das eine, sinkende Einnahmen das andere. Für 2020 war wegen der guten Lage am Arbeitsmarkt ein Plus von 3,8 Prozent bei den GKV-Einnahmen aus den Beiträgen auf Löhne und Gehälter erwartet worden. Diese Schätzung ist Makulatur, weil die Wirtschaftsleistung 2020 nach der jüngsten Prognose der Bundesregierung um 6,3 Prozent einbrechen wird. Allein im April stieg die Zahl der Arbeitslosen um knapp 310 000 auf 2,64 Millionen. Und für mehr als zehn Millionen Beschäftigte wurde Kurzarbeit beantragt.

Lag die Finanzrücklage aller Kassen noch vor wenigen Wochen bei neun Milliarden Euro, wird sie also im Lauf der kommenden Monate schrumpfen. Und dann müssen die Kassen und Spahn klären, wie die vier Milliarden Euro bezahlt werden, die der so genannte Gesundheitsfonds als Polster haben muss.

Mehr Beiträge

Dafür bieten sich nur zwei Wege an: Entweder steigen die Beiträge der Versicherten oder der Bund stellt der GKV mehr Steuergeld bereit. Es wäre ein verheerendes Signal, so die Grünen-Abgeordnete Maria Klein-Schmeinck, wenn sich der Zusatzbeitrag der Versicherten von heute im Schnitt 1,1 Prozent des Einkommens verdoppelte. Sie fordert den Zuschuss des Bundes – er liegt bei 14,5 Milliarden Euro im Jahr – anzuheben.

Nun wäre es tatsächlich fragwürdig, mitten in der schwersten Rezession seit 1949 durch höhere Beiträge das Nettoeinkommen der Versicherten zu schmälern und die Lohnnebenkosten der Firmen zu belasten. Das heißt aber nicht, dass Minister Spahn bei Finanzminister Olaf Scholz (SPD) mehr Steuergeld herausholen kann. Denn auch die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit (BA), die im Januar noch satte 25 Milliarden Euro betrug, wird bald aufgebraucht sein. Arbeitsminister Heil gibt zu verstehen, dass er das Defizit der BA über Steuern ausgleichen will.

Schlechte Aussichten

Derzeit wird Scholz mit Wünschen also regelrecht bestürmt – sei es für die BA, die Bahn, die Kommunen oder für das Konjunkturpaket, das die Große Koalition auflegen will. Doch so wie den Kassen und der BA Geld fehlt, steht auch Scholz vor düsteren Aussichten – auch wenn er in einem Nachtragsetat Schulden von mehr als 150 Milliarden Euro aufgenommen hat. Laut der Steuerschätzung vom November sollte der Bund im laufenden Jahr 328 Milliarden Euro aus Steuern einnehmen und in den Folgejahren ein Plus zwischen 2,3 bis 3,8 Prozent verzeichnen. Diese Zahlen sind wegen des Corona-Stillstands hinfällig. Somit weiß niemand, ob sich das kräftige Plus wiederholen lässt, das es 2009 bei der Finanzkrise gab: Damals erhöhte Berlin den Bundeszuschuss an die GKV auf einen Schlag kräftig um 118 Prozent auf 15,7 Milliarden Euro.