Ein Hund ist ein lebenslanger Begleiter, nicht nur bei temporärer Langweile. Foto: Lichtgut/Jan Reich

In der Coronakrise scheint der Wunsch nach einem Haustier zuzunehmen. Tierschützer, die Vierbeiner aus dem Ausland vermitteln und mit Anfragen bombardiert werden, sehen das kritisch.

Stuttgart - Andrea Schlegels Telefon klingelt und klingelt und klingelt. „So viele Anrufe hatte ich noch gar nie“, sagt sie. Die Vorsitzende des Vereins Vergessene Pfoten Stuttgart kann sich vor Anfragen kaum retten. „Die Leute sind wie verrückt“, sagt sie – verrückt nach Hunden. Der Club hat es sich zur Aufgabe gemacht, Vierbeiner aus ausländischen Tötungsstationen zu holen und in Deutschland in gute Hände zu vermitteln. Seit der Coronakrise ist die Nachfrage nach tierischen Familienmitgliedern förmlich explodiert. Zehn bis 15 Anrufe erhalte sie aktuell pro Tag, außerdem etliche E-Mails und Whatsapp-Nachrichten. „Normalerweise kommt ein Anruf pro Tag, manchmal gar keiner.“

Mischung aus Langeweile und Zeit in der Natur

Warum plötzlich alle einen Hund wollen? Die Tierschützerin kann nur mutmaßen. „Es ist wohl eine Kombination. Die Leute langweilen sich, sind gern draußen in der Natur, und sie sind jetzt viel daheim“, glaubt sie. Motive, die die Vereinsvorsitzende erst mal stutzig machen, wie sie sagt. Hohe Nachfrage heißt nicht automatisch, dass jetzt massenhaft Tiere vermittelt werden. Im Gegenteil. „Es ist sehr erschwert“, sagt Andrea Schlegel. Zum einen sei ein Kennenlernen aller Beteiligten aktuell kaum möglich, zum anderen könnten die Wohnverhältnisse nicht besichtigt werden. Für eine seriöse Adoption hält sie das allerdings für nötig, „ich bin ja trotzdem verantwortlich“. Ohnehin kommen aktuell deutlich weniger Hunde aus dem Ausland an. Vergessene Pfoten arbeitet unter anderem mit Partnern auf Mallorca zusammen, dort gelten allerdings strenge Kontaktsperren.

Auch der Verein Dog Rescue Stuttgart hat momentan weniger ausländische Vierbeiner in der Vermittlung als sonst – aber auch dort fragen überdurchschnittlich viele Menschen an. Bis zu 35 Bewerber kämen auf ein Tier. „Die Leute wissen nicht, was sie tun sollen, und hängen im Internet“, glaubt Andrea Hubl, die Vorsitzende. Unpassende Anfragen würden rasch aussortiert, denn: „Es gibt ja auch die Zeit nach Corona, in der man wieder seinen Acht-Stunden-Bürotag hat.“ Besonders lieb sind Hubl daher jene Interessenten, die nicht erst seit ein, zwei Wochen auf der Suche sind. „Ich mache das seit 20 Jahren, man hört es im Gespräch raus“, sagt sie, zudem sei es ein gutes Zeichen, wenn sich potenzielle neue Halter auf Skype-Vorkontrollen oder improvisierte Gassitreffen im Freien einließen.

Tierheim vermittelt weiter Tiere

Im Stuttgarter Tierheim läuft ebenfalls alles derzeit etwas anders. Die Einrichtung in Botnang ist seit Mitte März für den normalen Besucherverkehr geschlossen. Vermittelt wird dennoch, wie die Sprecherin Petra Veiel sagt. In Corona-Zeiten läuft viel übers Telefon. „Wir tasten uns telefonisch vor, sodass wir eine Tendenz haben, welches Tier passen könnte. Dann laden wir die Leute zu Einzelterminen ein.“ Von einem Haustierboom merkt man dort allerdings nichts. Gestiegen sei die Nachfrage weder nach Hunden noch nach anderen Bewohnern, „das ist auf ganz normalem Niveau“.

Wie die beiden Vereinsvorsitzenden mahnt auch Petra Veiel, Tiere nicht aus dem Affekt heraus aufzunehmen, sondern insbesondere an die Zeit nach der Krise zu denken. Bello und Mieze könnten schnell 15 Jahre alt werden, und „so ein Tierleben ist teuer. Da appelliere ich immer auch sehr an den gesunden Menschenverstand“. Vermittler seien gefordert, Aufklärungsarbeit zu leisten – damit das neue Familienmitglied nicht nach der Anfangseuphorie schnell wieder im Tierheim landet. Und im Zweifelsfall könne sich ein Interessent etwa durch Gassidienste oder Dogsharing ans Leben mit Hund herantasten, sagt Veiel, „das ist doch eine sympathische Lösung“.