Angst bringt Menschen dazu, sich unsozial zu verhalten Foto: /Tom Weller

Die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie auf unser tägliches Leben und unsere Psyche ist enornm. Angst geht um und fehlenden sozialen Kontakte wirken sich aus. Was man dagegen tun kann.

Bad Cannstatt - Derzeit erleben wir eine Einschränkung des öffentlichen und privaten Lebens, wie wir sie in diesem freiheitlichen Staat noch nie erlebt haben. Das wirkt sich selbstverständlich auf unsere Stimmung, unser Verhalten und letztlich unsere Psyche aus.

Eine immense Rolle spielt hier die Angst. Nennen Sie es wie Sie wollen – Sorge oder Befürchtungen, Panik oder Hysterie, letztlich sind das Synonyme für die nackte Angst. Und diese Angst überträgt sich sehr schnell. Als das Urgefühl schlechthin ist es evolutionär absolut sinnvoll, dass Angst eine Art ansteckende Wirkung hat. Versetzen Sie sich in die Steinzeit. Die Menschen lebten in Sippen und waren darauf angewiesen, dass sie miteinander interagierten. Sie kennen das auch aus Tierfilmen. Wenn ein Sippenmitglied Alarm schlägt, sind alle gleich hellwach. Und wenn jemand vor einer Gefahr davonläuft, laufen die anderen hinterher. So wurde das Überleben der Menschheit gesichert.

Urmechanismen greifen

Diese Urmechanismen greifen noch heute, zum Beispiel, wenn Menschen in einer Überflussgesellschaft, in der es für alle genug gibt, sich mit Waren in einer Menge eindecken, die sie selbst so kaum verbrauchen können. Bei solchen Massenphänomenen ist jedenfalls später kaum festzustellen, wie die jeweilige Dynamik sich entwickelt hat und wie sie entstanden ist. Ein wichtiger Punkt dabei ist das Gefühl, das zu tun, was viele andere auch tun, denn „die“ werden schon wissen, warum sie das tun. Dabei ist es ein Trugschluss, dass die Mehrheit immer recht hat und dass das, was viele tun auch tatsächlich eine Handlung der Mehrheit ist. Hinzu kommt, dass es sich nicht gut anfühlt, zur Passivität verdammt zu sein und Einkäufe zu tätigen. Diese zu verstauen ist immerhin eine aktive Handlung.

Die Angst jedenfalls bringt viele dazu, egoistisch und unsozial zu handeln. Das zeigt sich darin, dass in Krankenhäusern und Heimen Desinfektionsmittel und Atemmasken gestohlen werden und damit denen fehlen, die sie dringender brauchen. Auch, dass es zu Szenen kommt, in denen um eine Packung Toilettenpapier ein Streit entsteht oder diese einem schwächeren Menschen aus den Händen gerissen werden, ist irrational und erschreckend. Entgegen den vielen schönen Geschichten von Solidarität und Hilfsbereitschaft in so einer Notsituation ist das die hässliche Fratze der menschlichen Abgründe und ein Beleg von der animalischen Seite, die Macht über uns ergreift, wenn wir nicht dagegen ankämpfen.

Wir Menschen benötigen Austausch

Ein weiterer Effekt der aktuellen Situation neben den Ängsten, denen viele hilflos ausgeliefert sind, ist der ausbleibende soziale Kontakt. Wir Menschen sind soziale Wesen und die meisten von uns brauchen Austausch, Berührungen und die Aufmerksamkeit von Freunden und Verwandten. Dass man sich nun nur noch von weitem begrüßen darf, Umarmungen und Küsschen auf die Wangen entfallen und sogar der rituell bedeutende Händedruck nicht mehr erfolgen darf, ist hart für uns. Solche ritualisierten Handlungen sind für unsere psychosoziale Gesundheit von extremer Wichtigkeit.

Besonders hart ist das für alleinstehende und vielleicht ältere Menschen, die zwar einer Infektion entgehen, in der Einsamkeit aber keineswegs glücklich sind. Schlimmer noch ist es, wenn man kranke oder vielleicht sogar sterbende Angehörige nicht einmal besuchen darf. Die Möglichkeiten der Videotelefonie oder der Messenger-Apps sind hier eine Hilfe, können aber direkten Kontakt und Berührungen nicht vollkommen ersetzen. Hinzu kommt, dass wir Frühling haben und die Menschen beim ersten Sonnenschein nach draußen drängen. Wie es ihre Gewohnheit ist, gehen viele dort hin, wo andere Menschen sind, ungeachtet der Empfehlungen und Verbote.

Gefährlicher Psychococktail entsteht

Alles in allem gehen wir unterschiedlich mit dieser wirklich beklemmenden und ungewohnten Situation um. Wenn zusätzlich das Einkommen gefährdet ist, kommen Existenzängste hinzu. Gepaart mit Vereinsamung, Lagerkoller, Überforderung und Hilflosigkeit entsteht ein gefährlicher Psychococktail, dem viele vollkommen ausgeliefert sind. Die Gegenmaßnahmen sind die üblichen Wege zum Lebensglück: soziale Kontakte und Sonnenlicht. Diese stehen nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Verfügung.

Stefan Betsch arbeitet als Freiberufler unter anderem als psychologischer Berater. Er absolvierte eine mehrjährige psychologische Ausbildung in Transaktionsanalyse. Seine Tätigkeit umfasst Einzelberatungen zu verschiedenen Fragen und Problemstellungen des Lebens sowie Seminare bei Firmen, verschiedenen Akademien sowie in der beruflichen Rehabilitation. Die Schwerpunkte seiner Arbeit ist der Umgang mit sich und anderen, vor allem in schwierigen Situationen sowie Kommunikationsstrategien.