Olaf Scholz macht in der Corona-Krise eine gute Figur. Foto: AP/John Macdougall

Die Corona-Krise hat einen politischen Klimawandel heraufbeschworen. Doch die SPD weiß ihn nicht geschickt zu nutzen - mit einer Ausnahme, die die Karten in der K-Frage neu mischen könnte.

Berlin - In gebührender Entfernung von 1,50 Metern stehen SPD-Chef und Vizekanzler Seite an Seite vor der großen Statue von Willy Brandt. „Wir halten ein bisschen Abstand, obwohl wir sehr, sehr eng zusammenarbeiten“, betont Finanzminister Olaf Scholz. Zur Verabschiedung ein Ellenbogen-Check. Es gibt kaum eine Szene, die die Stimmung der SPD in der Corona-Krise besser beschreiben könnte. Denn inhaltlich haben Parteichef Norbert Walter-Borjans und Vizekanzler Scholz an diesem Tag nicht viel zu sagen. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, die Parteispitze wollte einfach auch mal was abbekommen vom Rampenlicht, in dem sich ihr auffälligster Minister gerade sonnt.

Krisenzeiten sind schwierige Zeiten für Parteien, verbietet sich doch parteipolitische Profilierung quasi von selbst. Normalerweise, so heißt es, verlassen wir uns gern auf Vertrautes, wenn um uns herum die Welt aus den Fugen gerät. Das funktioniert für die Union auch sehr gut, in Umfragen klettert sie beständig nach oben.

Frustrierte SPD

Die Genossen der SPD dagegen sind ziemlich frustriert. Immerhin sind sie Teil der Regierung, wenn auch Juniorpartner, doch bisher zahlt das nicht auf ihr Konto ein. Zwar haben sie in den ersten Umfragen die Grünen überholt. Das liegt aber daran, dass diese Stimmen verlieren, seit der Klimaschutz nicht mehr die politische Debatte bestimmt. Zugleich treten die Probleme der Sozialdemokraten deutlich zutage.

Denn der Graben zwischen Parteichefs und Regierungs-Mannschaft ist offenkundig längst nicht überbrückt. Beispiel Corona-Bonds. Da schreiben Walter-Borjans und Scholz einen gemeinsamen Brief an die SPD-Fraktion, in dem sie kurzfristig durchsetzbare Alternativen zu den gemeinsamen Anleihen formulieren. Doch Walter-Borjans, der ehemalige NRW-Finanzminister, kann es sich nicht verkneifen, in Interviews auch für die Bonds zu werben.

Beispiel Vermögensabgabe. SPD-Chefin Saskia Esken bringt die linke Idee zur Finanzierung der Corona-Kosten ins Spiel. Scholz zeigt ihr die kalte Schulter. Stattdessen spricht Alt-Kanzler Gerhard Schröder: „Meine freundliche Anregung an die Parteiführung der SPD wäre da übrigens, sich jetzt genauso deutlich hinter die Arbeit der Minister zu stellen - und vielleicht eine kleine Weile darauf zu verzichten, eigene Vorstellungen, die nicht weit von der Linkspartei entfernt sind, zu entwickeln“, sagt er in einem Interview.

Es wirkt, als versuchten die Parteichefs von der Zuschauertribüne aus mitzuspielen, als wollten sie mit aller Macht selbst gehört werden. Dabei agieren sie vor allem ungeschickt, denn eigentlich könnte die Politik gerade sozialdemokratischer kaum sein. Mit vollen Händen wird Geld ausgeschüttet, an große Unternehmen genau wie kleine Künstler, an selbstständige Pfleger, durch das Kurzarbeitergeld an Hunderttausende Arbeitnehmer. Aber auch die SPD-Ministerpräsidenten können sich nicht profilieren. Stattdessen ist Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) allgegenwärtig.

Scholz steht im Rampenlicht

Und Finanzminister Scholz. Der Vizekanzler ist quasi der Feuerwehrmann der Bundesregierung - und geht in dieser Rolle sichtbar auf. Krisenmanager brauchen eher Pragmatismus als Charisma, das kommt dem trockenen Hanseaten entgegen. Er packt an, holte mit seinem Kreditprogramm für Unternehmen die „Bazooka“ raus - und schlüpft ab und zu auch durchaus gern und gewohnt selbstbewusst in die Rolle des Welterklärers. Nichts ist mehr zu spüren von seiner Niederlage beim Mitgliederentscheid um den SPD-Vorsitz, als zeitweilig niemand mehr wusste, ob er nicht doch als Vizekanzler hinschmeißen würde.

Ebenfalls nichts mehr zu hören ist von der Koalitionsfrage. Manchmal wundert man sich, was vor einem halben Jahr die politische Welt bewegte - als die größte Sorge Parteien waren, die sich mit sich selbst beschäftigten und eine große Koalition, die den Winter vielleicht nicht überstehen würde.

Scholz Kanzlerkandidat?

In der SPD denkt nun niemand mehr laut über einen Koalitionsbruch nach. Selbst GroKo-Kritiker zeigen sich auf Twitter erleichtert über die SPD-Minister in der Regierung - nach dem Motto: „Dass ich sowas mal sagen würde.“ Esken, eine der größten GroKo-Zweiflerinnen, räumt im „Welt“-Interview ein, sie sei „sehr froh, dass Sozialdemokraten in dieser Situation an der Regierung beteiligt sind“.

Auch in der zweiten K-Frage sind die Karten neu gemischt: Kann die SPD ihrem mit Abstand beliebtesten Politiker Scholz die Kanzlerkandidatur noch verwehren? Nicht nur Esken, auch Juso-Chef und SPD-Vize Kevin Kühnert sagen inzwischen offen, Scholz mache seine Sache gerade verdammt gut. Mit welchen Hintergedanken auch immer: Man versucht sich hinter dem Vizekanzler zu versammeln. Vor ein paar Wochen, in einer gefühlt anderen Zeit, war das noch undenkbar.