Anderthalb Meter Abstand sind beim Überholen von Radfahrern gefordert. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Unsere Radserie ist ein Beispiel für konstruktiven Journalismus. Kann er den Konflikt um Straßenraum entschärfen? Das untersucht eine neue Studie.

Stuttgart - Kaum wurden an der Kaltentaler Abfahrt Überholverbotsschilder aufgebaut, schon sind einige der Verkehrszeichen mutmaßlich geklaut worden. Die rund 300 Kommentare auf Facebook unter dem Bericht unserer Zeitung fallen teilweise drastisch aus. „Anstatt so dämliche Schilder aufzubauen, muss die Straße so umgebaut werden, dass Autos wieder normal fahren können“, schreibt einer. Und ein anderer: „Die Bürger betreiben halt Notwehr gegen die grüne und rote Ideologie.“

Es sind einzelne Meinungen. Dass sogar Diebstahl befürwortet wird, spricht aber für eine aufgeheizte Debatte. Heizt Journalismus sie noch an? Oder kann er helfen, ihn zu schlichten? Konstruktiver Journalismus ist ein Ansatz dafür. Er versteht sich als Gegenentwurf zu der oftmals von „negativen“ Nachrichten dominierten Berichterstattung. Er will den Menschen eine positive Perspektive auf aktuelle Probleme bieten.

Daten sind wichtig

Kann das auch beim Thema Radfahren in Stuttgart funktionieren? Die Antwort geben Gespräche mit sieben Leserinnen und Leser unseres Projekts „Radort Stuttgart“, die entweder überzeugte Rad- oder Autofahrer sind. Eine wichtige Erkenntnis: Daten sind wichtig. Die Befragten halten Beiträge für besonders konstruktiv, die etwa das Problem zu enger Überholabstände auf Basis von im Straßenverkehr gesammelten Daten veranschaulichen. Solche Beiträge können nach Ansicht der Rad- und Autofahrer als gute Basis für Diskussionen dienen, außerdem halten die Befragten die Daten für gut nachvollziehbar.

Doch es geht auch um den journalistischen Zugang. Die Befragten wünschen sich, dass Journalismus sich vor allem auf Lösungen fokussiert und nicht nur ein Problem darstellt. Wenn das geschieht, weckt Journalismus Hoffnung, dass es besser wird – in diesem Beispiel für alle Verkehrsteilnehmer.

Eine dritte Erkenntnis: Konstruktiver Journalismus soll nach dem Willen der Befragten gegenseitiges Verständnis schaffen. Die Sichtweisen verschiedener Gruppen sollen ausgeglichen dargestellt werden. Hilfreich sei auch, das etwa für Autofahrer offenbar manchmal schwer verständliche Verhalten von Radfahrern zu erklären.

Politik in die Pflicht nehmen

In Stuttgart bemängelten Rad- wie auch Autofahrer die Radinfrastruktur – und damit die Verkehrspolitik. Dass sich die Verkehrsteilnehmer in der Stadt sehr wenig Platz teilen müssen, erhöht das Konfliktpotenzial. Nimmt Journalismus die Politik mehr in die Pflicht, so kann Berichterstattung dazu beitragen, solche Konflikte zu beheben.

Eine Befragung von sieben Rad- oder Autofahrern kann nicht repräsentativ sein. Trotzdem zeigen die Ergebnisse das Potenzial des konstruktiven Journalismus auf, wenn es um die Lösung gerade lokaler Konflikte geht. Es ist ja auch nicht so, dass alle auf Krawall gepolt sind. „Es gibt mehr Fahrradfahrer als früher und wird noch mehr geben in Zukunft. Die brauchen ’ne eigene Spur“, schreibt eine Kommentatorin auf Facebook unter dem Bericht zum Schilderdiebstahl, „das ist besser für alle.“

Franziska Schmock hat zum Abschluss ihres Studiums „Crossmedia-Redaktion und Public Relations“ an der Stuttgarter Hochschule der Medien ihre Bachelorarbeit zum Radprojekt eingereicht: „Konstruktiver Lokaljournalismus zur Entschärfung des Streitthemas Radfahren“.