Im gelben Tourbus reisten die Toten Hosen 1982 heimlich nach Ostberlin. Foto: /SWR

Von den Toten Hosen am Freitag bei der Filmpremiere in Stuttgart bis zum edlen Neustart auf der zuletzt nicht mehr so hippen Schulstraße – das Nachtleben kommt langsam wieder in Fahrt. Eine Kolumne über Events und Premieren, die sich zurückmelden.

Das kleine Sträßchen, das gerade mal 130 Meter misst, gab mal weit über den Kessel hinaus den Ton an. In den 1950ern war die Schulstraße bundesweit eine Wegbereiterin für das Verbannen von Autoblech aus der City. Die Gasse unweit des Rathauses, damals eine feine Adresse für angesagte Läden, hat es als eine der ersten Fußgängerzonen Deutschlands in die Geschichtsbücher geschafft. Von der Vorbildfunktion und der alten Pracht, so schien es, ist nicht viel übrig geblieben. Leerstand prägt den Abschnitt zwischen Marktplatz und Königstraße, den man zuletzt „Fress-Meile“ nannte. Doch jetzt ist ein Neustart gelungen, der „das Einkaufen von morgen“ verheißt.

Der Chef sagt, er sei der „Ladenhüter“

„Vaund“ steht an der Fassade. Man spricht’s aus wie das englische „found“. Wir sind auf der oberen Ebene der kleinen Fußgängerzone – dort, wo einst Karstadt „backstage“ hinter seinem Haupthaus Verkaufsflächen betrieben hat. An der Schulstraße 17 will das bereits in Hannover aktive Unternehmen mit einem mutigen Konzept („Bei uns gibt’s handverlesene Innovationen“) der Verödung der Innenstädte die Stirn bieten. Zur After-Work-Party, die nach Ende der strengen Coronaregeln nun öfter stattfinden soll, hat der Chef eingeladen, der sich „Ladenhüter“ nennt: Florian Gerlach düst auf einem elektrisch angetriebenen Trolley-Roller (ein echter Hingucker auf Bahnhöfen und Flughäfen) an seinen Gästen vorbei und hat sichtbar Freude an Designprodukten aus verschiedenen Lifestyle-Bereichen, die innovativ sind, obendrein schön aussehen und dazu praktisch erfreuen. Zumindest hier hat die obere Schulstraße sein Billigimage verloren. Doch gibt’s dafür in schwierigen Zeiten genügend Kaufkraft? Der „Icaros“ etwa kostet 2200 Euro. Dabei handelt es sich um ein Fitnessgerät, bei dem man die VR-Brille aufsetzt und glaubt, über die Alpen zu schweben. Bei diesem Flug muss man sich mitbewegen, auf dass verschiedene Muskeln aktiviert werden.

Engpass bei den Flaschen wegen der erhöhten Energiekosten

Das Besondere im Vaund Store ist: Man darf alles ausprobieren, anfassen, testen, schmecken. Also auch den Orginic, jene im vergangenen Jahr gegründete Stuttgarter Ginsorte, die Bio-Botanicals und Zitrusfrüchte enthält und sich mit der viereckigen Flasche auch schon optisch von der Konkurrenz abhebt. Und genau die Flaschen sind’s, die Orginic-Chef Steffen Michel Sorgen bereiten. Weltweit herrscht Flaschenmangel. Der Krieg in der Ukraine verursacht höhere Energiekosten. Eine der Folgen ist, dass Flaschenglas rar ist.

Ausgerechnet jetzt, da Corona seinen Schrecken verliert und man beim Ausgehen wieder mehr darf, gibt’s einen Engpass bei den Flaschen, die gefüllt werden sollten, um sie bei Events, Premieren und all dem lang vermissten Freizeitvergnügen zu leeren.

DJ Hell legt in der neuen, coolen Location im Alten Schloss auf

Der Veranstaltungskalender war ausgedünnt – nun macht sich abendlicher Spaß gegenseitig Konkurrenz. Das Nachtleben erwacht in der Stadt langsam wieder. Am Donnerstagabend etwa wird, zeitgleich zum After-Work-Event im Vaund, in der Leica-Galerie die Schau „Los Cubanos“ mit Fotografien aus Kuba von Volker Figueredo Véliz eröffnet. In seiner Magic Lounge startet Thorsten Strotmann seine Osteraktion mit dem goldenen Ei. Ehrengäste wählen das Versteck für den Königsbau aus, ohne dass der Zauberkünstler es erfährt. Und im Alten Schloss legt DJ Hell beim „Dürnitz Night Call“ auf – in der neuen, coolen Location im Landesmuseum.

Am Freitag geht’s heftig weiter: In der Alten Reithalle feiert Madchick of Soul von Bandleader Berti Kiolbassa das Ende der zweijährigen Soulnight-Pause. Und im Gloria-Kino geben sich die Toten Hosen kurz vor ihrem 40. Bandgeburtstag (am 12. April 1982 war ihr erster Auftritt unter diesem Namen) – höchstpersönlich die Ehre.

Campino fand das Geheimkonzert „mein Leben lang geil“

Warum Campino & Co. gerade in Stuttgart ihre Film-Weltpremiere feiern? Der SWR ist’s, der die Doku „Auswärtsspiel“ produziert hat. Kurz nach ihrer Gründung führten die Hosen 1983 die Stasi an der Nase herum: Für ein Geheimkonzert, getarnt als „kirchliche Veranstaltung mit musikalischer Untermalung“, reiste die Punk-Band unter falscher Flagge nach Ostberlin. Nun wird der versteckte Gig im DDR-Gotteshaus zum ersten Mal umfassend dokumentiert. Campino, der im Juni 60 wird („also knapp über 50“), erinnert sich gern daran: „Da war eine Art Untergrundpfadfindertum, was ich mein Leben lang geil fand.“ Die ARD zeigt den Film am 13. April um 22.50 Uhr. Gut, zuerst ist Stuttgart dran, die verbotene Expedition der Rebellen zu sehen.