Nicht gerade ein Siegertyp: Richard Jewell (Paul Walter Hauser) Foto: Verleih

In seinem Kinofilm „Der Fall Richard Jewell“ will Clint Eastwood einem vorschnell Verurteilten Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ein heikles Unterfangen in den USA dieser Tage.

Stuttgart - Mit seinen kurzen Beinen, dem großen Bauch und dem Doppelkinn verkörpert Richard Jewell (Paul Walter Hauser) nicht gerade das Ideal einer Respektsperson. Doch Jewell ist fasziniert vom Beruf des Polizisten und beseelt vom Wunsch, anderen zu helfen. Seine Stelle als Wachmann an einem College verliert er aber, weil sich der 33-Jährige vor den Studenten aufspielt und seine mageren Kompetenzen überschreitet. Dass er immer noch bei seiner Mutter Bobi (Kathy Bates) wohnt, wirkt nicht minder peinlich.

Ein trauriger Verlierer ist dieser Mann, den der inzwischen 90-jährige Kinoveteran Clint Eastwood in seinem auf Tatsachen bauenden Film „Der Fall Richard Jewell“ porträtiert. Dabei hegte Eastwood einst eine Vorliebe für kernige Typen, wie dessen legendäre Rollen in diversen Western und den Dirty-Harry-Filmen belegen. Der weiche, von vielen belächelte Richard Jewell ist für Eastwood aus einem anderen Grund von Interesse; als tragisches Beispiel eines von der Gesellschaft Verstoßenen, der an Einsamkeit und Ungerechtigkeit zerbricht.

Negatives Aufsehen

Eastwood erzählt, wie der bei einem privaten Sicherheitsdienst angestellte Jewell 1996 bei Olympia-Feierlichkeiten im Centennial Park in Atlanta eine Bombe entdeckt und durch sein beherztes Eingreifen eine größere Katastrophe verhindert. Erst wird der linkische Junggeselle in den Medien gefeiert, doch plötzlich gilt Jewell als idealer Täter, der selbst den Sprengsatz im Park platziert haben soll, um sich durch das Auffinden als Retter zu präsentieren. Es beginnt eine unerbittliche Hatz auf Jewell, angefacht von Pressevertretern.

Ohne detaillierte Kenntnis des historischen Falls könnte man Eastwoods Darstellung authentisch nennen, eine dokumentarische Aufarbeitung leistet der Film aber nicht. Tatsächlich wurde Jewell zu Unrecht in aller Öffentlichkeit als Terrorist gebrandmarkt. Von den traumatischen Folgen erholte sich der ohnehin gesundheitlich Angeschlagene nie und starb 2007 mit nur 44 Jahren. Obwohl Eastwood diese Eckpunkte der Biografie wahrheitsgemäß umreißt, erregte sein Werk in den USA negatives Aufsehen. Kritik übte besonders das US-Medienunternehmen Cox Enterprises, das 1996 über den Fall berichtet hatte und die filmische Aufarbeitung als ungerecht empfindet.

Verharmloste Vorliebe für Waffen

Eastwood fokussiert sich im Wesentlichen auf die reale Figur Kathy Scruggs (gespielt von Olivia Wilde), die als Reporterin der Tageszeitung AJC über das Attentat im Centennial Park und den Wachmann Richard Jewell recherchierte, und die im Film als dessen erklärte Antagonistin aufgebaut wird. Eastwood charakterisiert Scruggs als verhärtete, extrem ehrgeizige Reporterin in einer Männerdomäne, die für eine gute Geschichte sogar mit einem Informanten ins Bett steigt – was der Chefredakteur der AJC dementierte.

Im Kontrast zum entschlossen-dominanten Auftreten der Kathy Scruggs verkörpert Paul Walter Hauser seinen Richard Jewell als tapsigen Einzelgänger mit einer als typisch amerikanisch verharmlosten Vorliebe für Waffen und Donuts. Eastwood übertreibt es mit der Ahnungslosigkeit seines Anti-Helden und zeigt in einer unfreiwillig komischen Szene, wie Jewell verschmitzt mit den Achseln zuckt, nachdem die Polizei auf ein mittelgroßes Waffenarsenal in seinem Schlafzimmer gestoßen ist.

Mit empörtem Pathos und grobem Strich

Zu holzschnittartig gerät auch der Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell), den Eastwood Jewell als einzigen Freund zur Seite stellt. Bryant wird ebenfalls als Underdog eingeführt, der seinen intellektuell einfach gestrickten Klienten vor gewieften Pressevertretern und brutalen Ermittlungsbehörden beschützen muss. Mit empörtem Pathos und grobem Strich schildert Eastwood die harschen Methoden des FBI und ergreift anhand der Opfer Bobi und Richard Jewell Partei für eine Schicht weißer, von der Politik im Stich gelassener Amerikaner, die bis heute unter dem bösen Synonym „White Trash“ – weißer Müll – subsumiert werden.

Im Rahmen einer fiktiven Erzählung sind solche Zuspitzungen legitim, dass jedoch ausgerechnet in dieser auf Fakten setzenden Geschichte die Schattierungen fehlen, wird unter den aktuellen Bedingungen in den USA zum Problem. Gerade im Hinblick auf die Spaltung der Gesellschaft in weiße und schwarze Bürger, in Arme und Reiche, in Angehörige der Eliten und Mitglieder der Unterschicht. Seit langem ist Eastwood als Anhänger einer konservativen Politik und als kritischer Patriot bekannt – den Präsidenten Donald Trump kritisiert er inzwischen allerdings. Weil Eastwood hier jedoch das extrem verengte Bild eines mächtigen, amoralischen Presseapparates gegen intellektuell und sozial unterlegene Bürger zeichnet, befeuert er die von Trump und der Ultra-Rechten formulierten Ressentiments gegen etablierte Medien. Die filmische Rehabilitation des Richard Jewell hätte einen differenzierteren Anwalt gebraucht.