„Schaffe, schaffe – bunter werden!“ Das CSD-Kulturfestival tauchte Stuttgart in bunte Farben. In unserer Fotostrecke zeigen wir weitere Eindrücke von der CSD-Party im Kessel. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Das Christopher Street Day-Kulturfestival 2021 ist am Wochenende in seinen Höhepunkt gemündet: Für Vielfalt zogen Tausende auf der Politparade durch die Stadt zur CSD-Infomeile am Schlossplatz.

Stuttgart -

Auf dem Schlossplatz werden sie schon lebhaft geschwenkt, die Regenbogenflaggen. Dabei ist der Demonstration noch gar nicht angekommen. „Wir sind so glücklich, dass endlich nach über eineinhalb Jahren wieder der Christopher Street Day stattfindet, diese Polit-Parade der LGBTQIA+ Community durch die Stadt ist der Höhepunkt“, schwärmt ein Pärchen, das sich, in eine Fahne eingehüllt, auf dem Gras sitzt. Sie zeigen zum Stadtpalais. „Da kommen sie.“ Ein schwarzer Truck ist in die Planie eingebogen. Er hat den Zug vom Erwin Schöttle Platz aus – über Böblinger und Tübinger Straße, Marktstraße und Karlsplatz – angeführt unter dem Motto „Schaffe, schaffe – bunter werden!“ Dahinter wollen Menschen jeden Alters „ein leuchtendes Zeichen für Vielfalt, Respekt, Akzeptanz und Gleichberechtigung“ setzen, mal schlicht mit Jeans, Shirt, Sommerkleid, mal glamourös mit Gold und Glitzer auf dem Körper Perücken und Putz auf dem Kopf. Barocke Regenbogen-Fracks sind da auszumachen, Tütüs mit Schwanenhut, goldene Shorts unter Flügeln, Kreatives in Leder, Lack, Netz und Spitze im Stil von Rock, Gothic der Grunge.

20.000 Menschen demonstrieren friedlich

Die Kollegenschaft eines bekannten Konzerns läuft in schwarzen Shirts und regenbogenfarbigem Mundschutz auf, deren Aufdruck Diversität in der Arbeitswelt propagiert. 2500 Teilnehmende waren in diesem Jahr angemeldet, heißt es bei den Veranstaltern, der Interessensgemeinschaft IG CSD. Geschätzt doppelt so viele seien gekommen, bestätigt Frank Kreuels, Polizeieinsatzleiter vor Ort. Mit den Zuschauenden hätten insgesamt über die gesamte Strecke hinweg rund 20.000 Menschen friedlich demonstriert – zu Fuß, diesmal gab es keine LKWs; und gemäß Deutschem Roten Kreuz nur wenige Malaisen wie Kreislaufprobleme oder Alkohol. „Der größte Teil trug Maske“, nickte Kreusels. „Von der Freitreppe aus sah man, wie die Gruppen sich weitläufig über den gesamten Schlossplatz verteilten, damit es vor dem Truck nicht zu eng wird.“

Das sind die CSD-Forderungen

Dieser mutierte auf der Planie-Wendefläche zur Bühne für die Kundgebung, die geschäftsführender CSD-Vorstand Marco Schreier – unterstützt von Gebärdendolmetscherinnen – mit fröhlichen „Happy Pride“ eröffnete. Ein besonderer „Pride“: Die IG CSD feiert 2021 20-jährigen Geburtstag. Dazu wünschte freilich auch die „Mutter“ der Regebogen Community, Linken-Stadträtin Laura Halding-Hoppenheit, das Allerbeste, bevor CSD-Vorstandskollege Detlef Raasch resümierte, was in den vergangenen Dekaden die LGBTQIA+-Szene erreichte – und was nicht. „1994 wurde endlich der Paragraph 175 gestrichen, der Homosexualität unter Strafe stellte, seit 2017 gibt es die Ehe für alle, wie in 16 anderen Staaten Europas und 12 außerhalb Europas.“

Es gehe in Deutschland und Stuttgart vielfältiger zu. Aber: Der CSD sei nach wie vor nötig. „2020 gab es 782 Delikte wegen sexueller Orientierung in Deutschland, davon 154 Gewalttaten.“ Ein Anstieg von 36 Prozent, so Lesben- und Schwulenverband. Raasch zitierte die CSD-Forderungen, etwa den Antidiskriminierungs-Artikel drei des Grundgesetzes um die sexuelle Identität beziehungsweise Orientierung zu erweitern. Zudem brauche es ein Modernes Personenstandsgesetz statt des fremdbestimmten Transsexuellengesetzes. Welche diskriminierenden Fragen trans Menschen in teuren Gutachten gestellt würden, schilderte Alex Häfner von Mission Trans. „Masturbieren Sie? Welche sexuellen Fantasien haben Sie? Welche Unterwäsche tragen Sie?“ Und er warf der CDU vor, die von FDP und Grünen eingebrachten Entwürfe zum Selbstbestimmungsrecht für trans Menschen abgelehnt zu haben. Bettina Schreck von der Initiative „100 Prozent Mensch“ forderte Solidarität der Community untereinander. So agitierten Radikalfeministinnen gegen trans Personen, wie etwa die AfD oder radikal Evangelikale. „Gegen jede wissenschaftliche Erkenntnis! Transmänner sind Männer, Transfrauen sind Frauen. Es gilt der Spruch der Gay Liberation Front: innovate, don’t assimilate!“

Gedenken an die queere Geschichte und Opfer

Der Verein hatte zudem Nina von der Equality Factory der Stuttgarter Partnerstadt Lodz eingeladen, die über die Repressalien der LGBTQIA+ in Polen berichtete. Sie betonte, dass die Europäische Union nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auch in Ungarn, die festgestellten Menschenrechtsverletzungen ahnden müsse.

Der Kundgebung folgte ein Gedenken an die queere Geschichte und Opfer vor dem Neuen Schloss. Denn: Coronabedingt wurde aus der CSD-Hocketse die CSD-Infomeile auf dem Schlossplatz. Dort präsentierten sich die 33 Initiativen, Vereine, Parteien, Institutionen, die sich am CSD beteiligten, – bis zum Sonntagmittag. Am Sonntagnachmittag folgte das „Lovepop“ CSD Sommer Open Air am Neckar auf dem Gelände von Friedas Pier mit Musik der DJs NT, Femcat und Martin Rapp.