E-Gitarre und Geige – Christoph Sonntag hat am Samstag im Bürgerzentrum Waiblingen beides dabei. Foto: privat

Am Samstag spielt Christoph Sonntag im Bürgerzentrum Waiblingen. Warum es ein ganz spezieller Ort für ihn und seine ganze Familie ist, verrät der Kabarettist im Gespräch.

Zurück zu den Wurzeln – so beschreibt Christoph Sonntag sein neues Programm „Ein Tritt frei“. Es ist unter schwierigen Bedingungen entstanden – umso mehr freut sich der Kabarettist über die positive Resonanz der Zuschauer.

Herr Sonntag, seit etwa sechs Wochen touren Sie mit dem Programm „Ein Tritt frei“. Wie läuft’s?

Es ist super angelaufen. Es ist mir laut den Aussagen vieler Fans offensichtlich gelungen, das beste Programm meines Lebens zu gestalten.

Dabei ist es unter erschwerten Bedingungen entstanden...

Corona hat uns Künstlern komplett den Stecker gezogen. In dieser Zeit ist das aktuelle Programm schon gewachsen. So viel Zeit hatte ich noch nie – normalerweise schreibe ich zwischen Proben, Auftritten und Reisen, das fühlt sich oft wie ein Radwechsel am rollenden Fahrzeug an. Dieses Mal habe ich viel Zeit gehabt, in der ich mich auf meine Wurzeln besonnen habe. Ich gehe bei „Ein Tritt frei“ zurück ins Nummernkabarett mit Kulissen und Kostümen. Das macht heute eigentlich keiner mehr. Ich schlüpfe in verschiedene Figuren, und das Programm macht mir riesige Freude.

Ministerpräsident, Mönch, Professor, Piraten, Opas – das Personal im neuen Programm klingt interessant.

Ich habe Lust auf Nummernkabarett gehabt. Natürlich kommt Christoph raus und erzählt, aber er schlüpft in mehr Rollen als in den letzten Programmen, weil mir das furchtbar Spaß macht, weil ich im Prinzip auch Schauspieler bin. Und es gibt auch mehr Musik als sonst, weil ich im Herzen auch Musiker bin und diese ganzen Sachen fließen jetzt zusammen. Das ist ein bunter Frühlingsstrauß mit verschiedenen Blumen, das Programm hat aber trotzdem einen roten Faden, der sich am Schluss vereint. Es gibt einen Rahmen, der wird aber so massiv gesprengt wie selten.

In der Entstehungsphase wurde gegen Sie ermittelt – erst wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Veruntreuung, dann wegen Besitz kinderpornografischer Schriften. Eine heftige Zeit.

Ja. Ein Befreiungsschlag war natürlich, als dann amtlich bestätigt wurde, dass sämtliche Anschuldigungen frei erfunden sind. Ich wusste ja, dass ich unschuldig bin, aber du wartest darauf, dass das eine hohe Instanz dann auch verkündet. Und nachdem das wirklich in der Öffentlichkeit durch war – der Sonntag wird zu Unrecht verdächtigt – hat das eher zu Sympathien geführt. So was kann natürlich auch umgekehrt enden: dass die Leute sich abwenden, und in die Gefahr wollte man mich ja bringen. Das ist aber ordentlich schiefgegangen.

Reagiert das Publikum je nach Landstrich anders?

Ja, das ist eindeutig so. Wir haben ein verwöhntes Stadtpublikum versus dankbares Landpublikum, das sich freut, dass der Sonntag sich die Mühe macht herzufahren, während sich in Stuttgart das Publikum die Mühe macht, zu mir zu kommen. Aber die Unterschiede gibt es systemimmanent. Nur die heften sich halt an ein besseres oder schlechteres Produkt an. Dieses Programm stürmt offene Türen ein, ich bin da wirklich richtig stolz und dankbar, dass es mir gelungen ist – auch nach persönlich schwierigen Zeiten, die ich hinter mir habe –, mich künstlerisch zu befreien von jedem Druck. Das war, glaube ich, auch der therapeutische Wunsch beim Programm. Ich rede viel über Therapie und über psychische Belastungen, denn ich denke immer: Da unten ist ein Publikum und da oben ist der Künstler, und wir sind alle Menschen, die ein Leben geschenkt gekriegt haben, das irgendwann beginnt, irgendwann endet. Das Geheimnis wird keiner durchschauen, und deswegen sind wir tatsächlich alle gleich. Das ist auch mein philosophischer Ansatz: Ich fühle mich überhaupt nicht erhaben. Das ist, glaube ich, auch das, was die Resonanz aus dem Publikum erzeugt, denn das ist wirklich meine Überzeugung. Ich finde das super, dass die kommen und dass ich das machen darf. Das spiegelt sich in einer großen Freude im Saal wider, die dann wiederum zu mir zurückkommt.

Wobei Kulturschaffende klagen, dass sich Zuschauer nicht mehr so einfach locken lassen. Stimmt das?

Man sagt bei uns in der Branche „300 ist das neue 1000“. Die Besucherzahlen sind massiv zurückgegangen, und wir haben die Fans nicht mehr in der alten Anzahl zurückholen können. Weil ein großer Teil sich einen großen Bildschirm und ein Netflix-Abo gekauft hat, ein anderer Teil ist einfach entwöhnt und sagt: „Früher bin ich immer rausgegangen, jetzt mache ich es nicht mehr, und es geht auch.“ Ein weiterer Teil hat kein Geld mehr oder denkt, er hat kein Geld mehr. Ein anderer Teil denkt: „Man kann sich da außen anstecken, das war mir früher gar nicht klar. Ich gehe nicht mehr raus oder halte mich etwas zurück“ – auch diese Tendenzen gibt’s. Und dann gibt es die Hardcore-Fans, die immer noch kommen. Bei meinem Auftritt in Waiblingen sind parallel eine große Konkurrenzveranstaltung, die Nacht der offenen Museen, und weitere Veranstaltungen. Dafür läuft der Vorverkauf sensationell. Aber dass ich wie früher drei Tage hintereinander ausverkauft bin mit Saalerweiterung – diese Zeiten sind zumindest vorübergehend vorbei. Die kommen aber wieder. Ich schätze, was die Szene angeht, dass wir 2023 noch kämpfen müssen und 2024 wieder Normalzustand haben, aber unter neuen Bedingungen. Viele Kolleginnen und Kollegen haben keine Lust mehr. Der Serdar Somuncu hört auf, Sissy Perlinger hört auf. Viele echte Größen, die sich wohl ohne Coronakrise bis 86 noch auf die Bühne hätten schieben lassen, die haben keine Lust mehr. Ich lasse mich mit 94 noch auf die Bühne schieben.

Sind Auftritte in Waiblingen besonders aufregend oder besonders entspannt?

Mittlerweile bin ich so lange im Geschäft, dass ich nicht mehr ins Zittern komme vor einer Show. Aber auf Waiblingen freue ich mich natürlich besonders, das ist ja meine Heimatstadt. Einmal Waiblinger, immer Waiblinger. Und was zum Beispiel das Bürgerzentrum angeht: Ich habe schon Kabarett gespielt, als die Diskussionen darüber losgingen. Und ich erinnere mich an die Debatten, ob das für uns als Kleinkunst-Gruppe toll ist oder nicht, dazu gab es unterschiedliche Meinungen. Ich weiß noch, dass meine Schwester damals gesagt hat: „Das ist doch toll für euch, dann dürft ihr irgendwann im Bürgerzentrum spielen.“ Und meine Mitkabarettisten von den Bretter-Asylanten haben gesagt: „Nein, das stimmt nicht, das ist Hochkultur und macht uns Kleine kaputt.“ Die Diskussion liegt mir immer noch auf den Schultern, wenn ich ins Bürgerzentrum komme, und das ist jetzt meine Homebase geworden. Ich spiele immer die Premiere im Theaterhaus, der zweite Termin war immer das Bürgerzentrum. Das hat uns Corona aber diesmal etwas zerschlagen.

Ihre Familie hat einen besonderen Bezug zum Bürgerzentrum…

Ja, ich erinnere mich, als das mit dem Bürgerzentrum losging. Mein Onkel Hartmut Kaden hat sich am Architektenwettbewerb beteiligt und da hat die ganze Familie mitgefiebert, ob das Bürgerzentrum nach seinen Plänen gebaut wird. Dann hat der Onkel das nicht geschafft, und in der Familie herrschte völlige Empörung: Wie kann denn der beste Plan nicht durchgehen? Wir waren alle völlig aufgewühlt, denn wir saßen da zusammen über den Plänen vom Onkel, das war ja gewissermaßen unsere Familienplanung, wie das Bürgerzentrum mal aussehen könnte. Das sind alles Dinge, die schwingen bei mir mit. Oder dass ich Fotos habe, wie meine Mama mich durch die Talaue schiebt und ich zum Kinderwagen rausgucke und ein Schäfle läuft vorbei. Das sind alles so Erinnerungen. Waiblingen ist meine Heimatstadt, fertig.

Auch wegen der Arbeit Ihres Vaters als Chef des Grünflächenamts war Waiblingen ein wichtiges Gesprächsthema.

Mein Vater hat die Talaue gestaltet und die Erleninsel erfunden und die Begrünung und die Fußgängerzone durchgesetzt. Das waren alles Familienthemen. Wir wussten, was der Vater will, und wir wussten, dass er das durch den Gemeinderat kriegen muss. Und wir kannten die Gespräche, an welche Partei er gehen muss, damit es klappt. Und wir kannten die Gespräche, dass er an die falsche Partei gegangen ist und es deswegen nicht geklappt hat. Das waren bei uns Aufregerthemen. Dass Waiblingen heute so aussieht, wie es aussieht, das hat brutal viel mit meinem Papa zu tun. Es ist ein tolles Gefühl, wann immer ich über die Erleninsel laufe. Das ist schon meine Stadt, und es macht dann besonders Spaß, in dieser Stadt das neue Programm zu präsentieren.

Welche Botschaft hat „Ein Tritt frei“?

Ich sehe mich zu mindestens 70, wenn nicht 80 Prozent als Unterhalter. Und die anderen 20 Prozent sage ich: Wenn ich schon die Chance habe, ein Publikum zu haben, dann möchte ich gerne auch ein bisschen meinungsbildend unterwegs sein und bestimmte Tendenzen unterstützen. Also Sachen, bei denen wir uns einig sind: Wir sollten das Klima schützen – ja, wie machen wir das denn? Wir sollten aber trotzdem unseren Lebensmut nicht verlieren – wie kriegen wir das hin? Das sind die Impulse, die ich setzen möchte. Es hilft ja alles nichts, Menschen zu ermahnen oder mit einem Parteiprogramm herumzuwedeln oder mit moralischen Ansätzen zu kommen. Wir müssen begreifen, dass wir alle zusammen Probleme haben und dass wir die zusammen eigentlich lösen könnten, wir müssen sie nur anpacken.

Zur Person

Biografie
 Christoph Sonntag, Jahrgang 1962, ist in Waiblingen aufgewachsen. Er hat Landschaftsplanung studiert, nebenbei als Journalist gearbeitet und sich dann fürs Kabarett entschieden. Mit seinem ersten Solo-Programm trat er 1989 auf.

Auftritt
 Am Samstag, 20. Mai, tritt Christoph Sonntag im Bürgerzentrum Waiblingen auf. Los geht es um 20 Uhr, die Karten kosten knapp 40 Euro.