Schanghai: Scharfe Kontrollen im ganzen Stadtgebiet. Foto: Imago/Z/hang Jiansong

Mit Schanghai ist nicht nur die größte, sondern auch wirtschaftlich bedeutendste Stadt Chinas im Lockdown. Die ökonomischen wie auch sozialen Folgen sind massiv.

Millionenfach teilen die Bewohner Schanghais ein Video in den sozialen Medien, in dem eine Frau vergeblich versucht, einen Rettungswagen für ihren Nachbarn zu alarmieren. Die Hilfe für den Mann, der unter einem Asthmaanfall litt, kam zu spät. Er erlag der Krankheit.

Ausgerechnet Schanghai ist mittlerweile zu Chinas Corona-Epizentrum geworden. Am Donnerstag meldeten die Behörden über 5600 Fälle. Dabei ist eine Stadthälfte bereits abgeriegelt. Nur wenige Stunden hatten die dortigen Bewohner Zeit, um sich mit den nötigsten Lebensmittelvorräten einzudecken. Jetzt wurden auch die Bewohner der westlichen Stadthälfte in ihre Wohnungen gesperrt. Dass der Lockdown schnell gelockert wird, glauben die wenigsten. Man munkelt, es könnte bis weit in den Mai dauern.

Die Lockdowns treffen Chinas Wirtschaft ins Mark

Für Chinas Seuchenpolitik ist das eine schwere Niederlage. Denn mit über 26 Millionen Einwohnern ist Schanghai nicht nur die größte Metropole des Landes, sondern auch das führende Wirtschaftszentrum der Volksrepublik. Forscher haben ausgerechnet, dass die angeordneten Lockdowns 46 Milliarden Dollar pro Monat kosten würden. Wenig überraschend fielen auch die jüngsten Zahlen des Pekinger Statistikamts miserabel aus. Der sogenannte Einkaufsmanagerindex für März sank sowohl in den Bereichen Dienstleistung (48,4) als auch Industrieproduktion (49,5) unter den Schwellenwert 50, der die Trennmarke zwischen Wachstum und Schrumpfen markiert.

Doch Chinas Staatsführung hält an der Nulltoleranzstrategie fest. Im Herbst steht mit dem 20. Parteikongress das vielleicht wichtigste Politereignis des Jahrzehnts an: Xi Jinping wird – als erstes Staatsoberhaupt seit Mao Tsetung – seine dritte Amtszeit ausrufen und sich damit auch formell zum Führer auf Lebenszeit machen. Erst danach wird Peking eine Lockerung seiner Corona-Maßnahmen riskieren. Bis dahin wird das Volk mobilisiert. In Schanghai werden Zivilisten zur Volksmiliz eingezogen. Sie sollen an Ausfallstraßen Temperatur messen oder die Logistik sicherstellen.

Tausende Menschen auf sich gestellt

China setzt auf eine radikale, aber hoffentlich kurze „Schockstarre“: Um die Infektionsketten zu unterbrechen, werden Infizierte in riesigen Quarantäne-Zentren untergebracht. Derzeit wird im Stadtgebiet eine Anlage mit 15 000 Betten fertiggestellt, sie dürfte die größte Covid-Isolationsstation weltweit sein. Was die chinesische Zentralregierung vor zwei Jahren noch stolz gepriesen hätte, ist nun der wahrgewordene Albtraum vieler Chinesen: Längst ist die Angst vor der Zwangsquarantäne größer als die Angst vor dem Virus selbst.

Im Internet schildert ein Chinese unter Pseudonym seine Erfahrungen: Trotz milder Symptome wurde er um vier Uhr morgens in einen Bus mit weiteren Infizierten gesteckt, um erst nach einer elfstündigen Wartezeit in ein Quarantänezentrum eingelassen zu werden. Dort seien mehrere tausend Menschen praktisch auf sich allein gestellt: ohne heißes Wasser, medizinische Versorgung oder PCR-Tests. Und da der Fahrstuhl streikt, müsse er die zwölf Stockwerke zur Essensausgabe zu Fuß zurücklegen.

In der Provinz ist die Lage noch schlimmer

Damit nicht genug: im abgelegenen Nordosten des Landes ist eine ganze Provinz seit einem Monat abgeriegelt. Doch unter Kontrolle ist die Lage nicht. Zuletzt mussten in der Provinzhauptstadt Changchun 160 Bauarbeiter ein Quarantänezentrum errichten. Bei der Arbeit erkrankten 90 von ihnen an Covid. Sie wurden in jene Anlage eingewiesen, die sie zuvor gebaut hatten.