Die Beschäftigten der Chemieindustrie (hier bei BASF) profitieren deutlich vom Tarifabschluss. Foto: BASF SE/Detlef W. Schmalow

Arbeitgeber und Gewerkschaft vereinbaren einen weiteren Krisentarifabschluss für die Chemie- und Pharmaindustrie. Damit werde die hohe Inflation bis Juni nächsten Jahres ausgeglichen, versichern sie.

Ein zweites Mal in diesem Jahr nach der „Brücken-Einigung“ vom April haben der Chemiearbeitgeberverband (BAVC) und die Gewerkschaft (IG BCE) einen Tarif vereinbart, um die Energiekrise zu überwinden. Demnach erhalten die 580 000 Beschäftigten in 1900 Betrieben der Chemie- und Pharmabranche in zwei Stufen 6,5 Prozent mehr Entgelt. Zusätzlich zahlen die Unternehmen jeweils 3000 Euro als steuer- und sozialbeitragsfreies Inflationsgeld.

Der Gewerkschaft zufolge bedeuten diese Zahlungen unterm Strich ein Nettoeinkommenszuwachs von durchschnittlich 12,9 Prozent – in der Einstiegs-Entgeltgruppe gar von 15,6 Prozent und in den oberen Gehaltsgruppen noch knapp unter zehn Prozent. Die Laufzeit des Vertrags beträgt 20 Monate.

„Die Mission ist erfüllt“, betonte der Verhandlungsführer der Gewerkschaft, Ralf Sikorski, in Wiesbaden. „2023 und 2024 können wir mit dem Gesamtpaket die erwarteten Inflationsraten ausgleichen.“ Im gesamten Betrachtungszeitraum bis Juni 2024 liege man über zehn Prozent. BAVC-Verhandlungsführer Hans Oberschulte sprach von einem guten Abschluss in der Krise. „Die Kostenbelastung ist insgesamt ausgewogen.“ Den Mitarbeitern werde eine substanzielle Unterstützung geboten.

Erleichterung für notleidende Betriebe

Konkret bekommen die Beschäftigten zum 1. Januar 2023 und 1. Januar 2024 jeweils 3,25 Prozent mehr Gehalt. Beide Stufen können in wirtschaftlicher Not verschoben werden: Bei roten Unternehmenszahlen wird die Entgelterhöhung um zwei Monate verschoben, bei einer Nettoumsatzrendite unter drei Prozent um einen Monat. Auf Basis einer Betriebsvereinbarung sind drei Monate Verzögerung möglich.

Das einmalige steuer- und beitragsfreie Inflationsgeld in Höhe von 3000 Euro wird in zwei Tranchen von je 1500 Euro netto spätestens zum 31. Januar 2023 und zum 31. Januar 2024 ausgezahlt – damit wird berücksichtigt, dass die meisten Beschäftigten zum Jahresanfang ihre Energieabschlagsrechnungen erhalten. Um gestiegene Lebenshaltungskosten der Beschäftigten teilweise auszugleichen und dauerhafte Belastungen der Unternehmen zu begrenzen, nutzen beide Seiten den im Rahmen der konzertierten Aktion im Kanzleramt entwickelten Spielraum voll aus. Die Sonderzahlungen können allerdings nicht bei finanziellen Nöten der Betriebe nach hinten verschoben werden.

Signalwirkung über die Chemiebranche hinaus

Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis, sprach in der anschließenden Pressekonferenz von einer Signalwirkung über die Chemiebranche hinaus – die Tarifparteien hätten in einer historischen Ausnahmesituation Verantwortung für die Beschäftigten, den Industriestandort und die Binnennachfrage übernommen. „Wir können unseren Beitrag leisten, um wirtschaftliche Entwicklung und sozialen Frieden voranzubringen.“

Auf den Tarifkonflikt in der Metall- und Elektroindustrie angesprochen, wollten die Chemie-Sozialpartner in ihrem Abschluss allerdings kein Signal speziell an die Metaller sehen: „Es steht uns nicht an, anderen Gewerkschaften Hinweise zu geben“, sagte Sikorski. „Jede Branche hat ihre Eigenart.“ Am Tisch der Chemie wiederum sei man bei aller konfliktären Situation nicht daran interessiert gewesen, „über die dritte Stelle hinterm Komma“ zu streiten. „Es ist verdammt noch mal unser Job, an Lösungen zu arbeiten – unsere Leute wollen Ergebnisse und keine Konflikte“, bekräftigte er. „Ich bin stolz darauf, dass wir das wieder hingekriegt haben.“

Lieber Kompromiss als Konflikt

Auch BAVC-Präsident Kai Beckmann mochte keine Gräben zu den Metallern aufreißen: Das Tarifergebnis sei ein Signal an den Standort Deutschland – „wir ziehen in der Krise an einem Strang“. Es sei wichtiger, den Kompromiss zu suchen als den Konflikt. „Wir wollen die Tarifverhandlungen aber nicht als bundesdeutsche Bühne nutzen, sondern unsere Branche weiterbringen.“ . Vassiliadis ergänzte: „Wir haben geliefert – die anderen sind noch dran.“