Annalena Baerbock an der Donbass-Front. Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Außenministerin Annalena Baerbock bekommt in der Ukraine die Enttäuschung über Deutschland zu spüren – und muss dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron das Feld überlassen.

Kiew - Unter dem Strich steht da diese Absage. Die Weigerung des ukrainischen Präsidenten, sich mit der deutschen Außenministerin zu treffen. Da mag Annalena Baerbock bei ihrem Ukraine-Besuch am Montag und Dienstag noch so oft versichern, das von russischen Truppen eingekreiste Land könne „auf Deutschland zählen“. Da mag sich die Chefdiplomatin die schusssichere Weste anziehen, um an der Donbass-Front eigene Eindrücke zu sammeln.

Am Ende ist es das ausgefallene Treffen mit Wolodymyr Selenskyj, das die Schlagzeilen bestimmt. In den USA meldet CNN, Selenskyj habe Baerbock wegen der Ölpipeline Nord Stream 2 einen Korb gegeben. Bisher wollte sich die Ministerin nicht zu einem Aus für die deutsch-russische Pipeline bekennen, was als Teil eines möglichen Sanktionspakets gegen Moskau gelten soll.

Die Ukraine dementiert das Gerücht

Die ukrainische Regierung dementiert dieses Gerücht aber vehement. Selenskyj habe lediglich Terminprobleme gehabt. Alle anderen Deutungen hätten „nichts mit der Wirklichkeit zu tun“. Das kann man glauben oder auch nicht. Denn Dementis gehören zum diplomatischen Geschäft. Man tut oder lässt etwas, dementiert dann, doch die Botschaft ist in der Welt.

Die Ukraine dementiert das Gerücht

Und die Botschaft des Nicht-Treffens zwischen Baerbock und Selenskyj lautet: Die ukrainische Führung ist enttäuscht und wohl auch erzürnt, weil sich Deutschland öffentlich zwar immer wieder als generöser Geldgeber des krisengeschüttelten Landes präsentiert. Aber wenn es ans Eingemachte geht, kneift Berlin. So sehen sie das offensichtlich in Kiew. Deutschland will keine Waffen liefern und sich nicht die Geschäfte mit Russland kaputtmachen lassen.

Dabei trifft Selenskyjs heiliger Zorn faktisch die Falsche. Denn Annalena Baerbock übt seit Jahren heftige Kritik an Nord Stream II. Und ihre aktuelle Ukraine-Reise ist bereits die zweite innerhalb weniger Wochen. Das Land und die Menschen sind ihr wichtig. Die Ministerin fährt demonstrativ zur Holodomor-Gedenkstätte. Dort erinnern die Ukrainer an den stalinistischen Massenmord, mit dem der Sowjetdiktator das nationale Unabhängigkeitsstreben unterdrücken wollte.

Die Außenministerin setzt damit ein klares Zeichen, denn auch der heutige russische Präsident Wladimir Putin spricht der Ukraine eine eigene Nationalkultur ab. Richtig zur Sache geht es dann aber ohne Baerbock, als sich Selenskyj am Dienstag mit Emmanuel Macron trifft. Der französische Präsident war vorher in Moskau und bringt von Putin die Zusage mit, dass „es nicht zu einer Eskalation“ im Ukraine-Konflikt kommen werde.

Russland dementiert Zusage

Russland dementiert Zusagen an Frankreich, bis auf weiteres auf neue Manöver an der Grenze zur Ukraine zu verzichten. Die Berichte darüber seien falsch, sagt der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow. Frankreich und Russland seien sich bezüglich einer Deeskalation der Lage noch nicht einig geworden.

Russland dementiert Zusage

Die Erfüllung des Minsker Abkommens von 2015 für die Ostukraine sei „der einzige Weg zum Frieden“, sagte wiederum Macron in Kiew. Unterdessen trifft sich Baerbock vor Ort, in der Donbass-Region, mit Vertretern der OSZE-Beobachtermission und mit Menschenrechtlerinnen. Gelänge es, die Lage im Osten der Ukraine spürbar zu entspannen, könnte das ein wichtiger Schritt hin zu einem konstruktiven Dialog mit Russland sein. So sieht das auch Baerbock.

Aber der Ministerin, die keine 100 Tage im Amt ist, fehlt dazu noch die Durchschlagskraft. So zumindest urteilt der frühere ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin. Der 54-Jährige nennt die deutsche Chefdiplomatin im Gespräch zwar eine „tough lady“, was sich mit „starke Frau“ nur unzureichend übersetzen lässt. Die deutsche Chefdiplomatin bringe zweifellos die nötige Härte mit, um im Ringen mit Russland zu bestehen. Dann jedoch folgt das große Aber. „In Moskau muss sie sich erst noch Gehör verschaffen, und das braucht Zeit.“

Klimkin hält eher Macrons Einsatz für vielversprechend. „Die Russen wollen die Ukraine von innen heraus zerstören, nicht von außen.“ Davon ist Klimkin überzeugt, der fünf Jahre lang Außenminister war. 2015 handelte Klimkin den Minsker Friedensplan mit aus. Er sagt, dass eine große russische Invasion in der Ukraine „extrem unwahrscheinlich“ sei. Die Verluste und die Kosten wären viel zu hoch. Aber der Minsker Friedensplan sei tot, sagt er. „Es wird ein Minsk III geben müssen.“

Die Bedingungen dafür wird wohl Russland diktieren, da gibt sich der ehemalige Topdiplomat keinen Illusionen hin.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Neue europäische Stärke – Olaf Scholz belebt ein altes Format neu