Mutlu Alpagan, Soner Boylu, Caner Boylu (hinten von links), Özgür Alpagan und Ali Boylu (vorne von links) arbeiten teils seit Jahrzehnten beim Volksfest. Foto: Ferdinando Iannone

Derzeit sind sie zu fünft, doch sie waren auch schon mal 19 Mann im Festzelt von Sonja Merz. Özgür Alpagan und seine Verwandtschaft kommen jedes Jahr als Kellner aufs Volksfest.

Es ist Großkampftag. Das Festzelt auf dem Cannstatter Volksfest wird voll. Die Geldbeutel der Kellner hoffentlich auch. Deshalb sind vermutlich auch alle da. Mutlu Alpagan ruft beim Appell am Morgen die Namen der Kellner, sie antworten. Alles klar, heute sind alle Stationen besetzt.

Seit 20 Jahren im Festzelt

Noch sind keine Besucher im Zelt von Sonja Merz. Noch hat Özgür Alpagan (50) ein bisschen Zeit zu erzählen, warum er seit 20 Jahren als Kellner beim Volksfest schafft. Sein Brotjob ist ein anderer, wie Bruder Mutlu arbeitet er für die Stadt Fellbach, Elektriker und Schreiner sind sie eigentlich. Doch 17 Tage im Herbst schlüpfen sie in Lederhosen, streifen karierte Hemden und Westen über und schleppen tagein, tagaus Bier und Göckele.

Party bei Sonja Merz im Zelt. Foto: Andreas Rosar

Die Gastro kennen sie in- und auswendig. Ihre Eltern haben 25 Jahre lang eine Grillstube in Feuerbach betrieben mit 60 Sitzplätzen. Nebenbei, wenn man das überhaupt so sagen darf. Der Vater arbeitete Dreischicht beim Bosch. Freizeit hatte er also überhaupt keine. „Wir sind praktisch in der Grillstube aufgewachsen“, sagt Özgür Alpagan.

Malochen in die Wiege gelegt

Das Malochen wurde ihnen in die Wiege gelegt. Keine Scheu vor harter Arbeit, Erfahrung in der Gastro, so landete Özgür Alpagan 2005 im Festzelt als Kellner. Später kam der Bruder dazu, der während des Studiums Geld verdienen wollte. Dann Cousins und Freunde. „Einmal waren wir 19 Leute“, sagt Özgür Alpagan.

Dieses Jahr sind sie zu fünft. Sein Bruder und er, sowie ihre Cousins Caner, Ali und Soner Boylu. Wie viel sie verdienen? Das schwanke, sagen sie. „Mal reicht es für Wien, für Istanbul oder für Dubai“, sagt Özgür Alpagan. Mittlerweile fließt sein beim Wasen verdientes Geld in die Familienurlaube, da verkraften sie es zuhause auch, dass sie ihn praktisch nicht sehen. Am Wochenende muss er um 9 Uhr im Zelt sein, daheim ist dann meistens erst gegen 2 Uhr.

„Mal reicht es für Wien, für Istanbul oder für Dubai“

Wie viel genau die Familienmitglieder verdienen, wollen sie nicht sagen. Aber wenn man fix sei und freundlich, gibt es mehr. Und gut organisiert. Man muss wissen, die Kellner sind selbstständig. Sie kaufen Essen und Trinken bei der Festwirtin und verkaufen es an die Gäste. Je Speise und Getränk verdienen sie einen Euro, hinzu kommt das Trinkgeld. Gespeichert wird das Geld auf einem Chip, den nutzen sie zum Kauf. Und jeden Abend rechnen sie ab.

Zu zweit bearbeiten sie eine Station, vier bis sechs Tische, 40 bis 60 Gäste. Die Brüder arbeiten zusammen. Einer nimmt die Bestellungen auf und kassiert ab, der andere serviert. Das gehe schneller, als wenn man die Göckele und die Bier bringt und dann kassiert. Aber es braucht Vertrauen. Denn das Geld landet nur bei einem. Da helfen Familienbande. „Das gibt bei anderen schon mal Streit“, sagt Özgür Alpagan, „bei uns nie. Wir teilen immer miteinander.“ Egal, wer was macht.

42 Göckele auf dem Holzbrett

Sein Bruder ist der Mann fürs Schwere. Mutlu habe auf dem Schlitten, dem Holzbrett, 42 Göckele getragen. „Wir haben uns auch mal bei den anderen Zelten umgehört und niemand weiß von einem Kellner, der ,mehr getragen hat“, sagen sie. 20 Maß Bier bekommt Mutlu auch geschleppt. Das spart Zeit, man kann öfter laufen, die Leute bekommen ihr Essen und ihr Trinken schnell – und sind zufrieden. „Wenn der Gast nicht glücklich ist, wird er pampig“, sagt Özgür Alpagan, „und das kann ich verstehen, die Leute haben ihre Erwartungen und wollen nicht ewig warten.“

Einmal haben sie einen Geschäftsmann und seine Gäste bedient. Der habe offenbar schlechte Erfahrungen gemacht in einem anderen Zelt, „und gab jedem von uns 1000 Euro, damit auch alles klappt!“ Es hat natürlich geklappt.

Wo geht es in Urlaub hin?

Wie dieses Jahr alles geklappt hat? Das wird er am Sonntagabend wissen. Ob es nach Wien oder Dubai geht im nächsten Jahr. Aber zunächst arbeitet er am Montag wieder ganz normal in Fellbach. Der Ausnahmezustand ist vorbei.