Cameron Carpenter an seiner mobilen Orgel. Von einem Lkw aus gab der grammynominierte Musiker ein Konzert vor dem Haus am Weinberg. Foto: Elke Hauptmann

Normalerweise spielt der in Deutschland lebende US-Amerikaner regelmäßig auf der großen Schuke-Orgel in der Berliner Philharmonie. Doch in Coronazeiten tourt er mit seiner eigenen Orgel auf dem Lkw durchs Land. Gestern gastierte er live vor dem Haus am Weinberg.

Obertürkheim - E s ist 10 Uhr am Vormittag, als urplötzlich Orgelklänge durch Obertürkheims Straßen hallen. Sie kommen von einem unscheinbaren Kleinlaster, der vor dem Haus am Weinberg geparkt ist – darauf steht eine digitale Orgel, an der ein junger Mann, ganz in Schwarz gekleidet, sitzt. Das Bedienfeld ist ungefähr so groß wie bei einer normalen Orgel, nur eben ohne die riesigen Pfeifen, dafür aber mit Soundsystem wie bei einem Rockkonzert. Die Bewohner der Senioreneinrichtung des Wohlfahrtswerkes, die auf Stühlen im Garten sitzen oder an ihren Fenstern stehen, erleben gerade ein ungewöhnliches klassisches Konzert mit einem echten Weltklasse-Organisten: Cameron Carpenter.

Normalerweise spielt der in Deutschland lebende US-Amerikaner regelmäßig auf der großen Schuke-Orgel in der Berliner Philharmonie. Doch in Coronazeiten ist er mit seiner eigenen Orgel unterwegs, der Lkw ist seine Bühne. Wenn die Menschen nicht zu ihm kommen können, komme er eben zu den Menschen, sagt der 39-Jährige. Denn gute Musik müsse live gehört und erleben werden, ist er überzeugt. Die „Konzerte vor den Fenstern“ ermöglichen es dem grammynominierten Musiker, sein Publikum zuhause zu besuchen. Cameron Carpenter tut dies unter seinem Motto „All you need is Bach!”. Auf dem Programm stehen ausschließlich Werke von Altmeister Johann Sebastian Bach, unter anderem Stücke aus den berühmten „Goldberg“-Variationen.

Solcherart Livekonzerte sind ihm eine Herzensangelegenheit. „Die Menschen, für die ich auf dieser Tournee spiele, können schon in normalen Zeiten meist nicht ins Konzert gehen. Unter Corona leiden sie besonders und verdienen definitiv ein kleines Extra.“ Rund 40 Überraschungskonzerte vor Seniorenheimen und sozialen Einrichtungen deutschlandweit stehen in den nächsten Tagen in seinem Terminkalender. Koordiniert wird diese Konzertreihe vom Bündnis der Bürgerstiftungen Deutschlands.

Ebenso plötzlich, wie es begonnen hat, ist das Konzert vor dem Haus am Weinberg nach gut 30 Minuten auch schon wieder vorbei. Ein kurzer Gruß ins begeisterte Publikum, dann verzurrt die Crew die Ausrüstung und schon geht es weiter zur nächsten Station – in Stuttgart spielte Cameron Carpenter gestern auch noch vor den Wohnhäusern im Asemwald, vor dem Parkheim Berg, vor dem Haus St. Elisabeth in Zuffenhausen und vor dem Luise-Schleppe-Haus in Stammheim.

Erfreuen wollen die Organisatoren damit nicht nur die Bewohner. Vielmehr sollen die Konzerte für zahlreiche Menschen ein Dankeschön sein. „Wir möchten auf die vielen Initiativen in der Stadt hinweisen, die in den letzten Wochen vor Alten- und Behinderteneinrichtungen Konzerte gegeben haben“, erklärt Irene Armbruster, Geschäftsführerin der Bürgerstiftung Stuttgart. Zugleich ist es eine Art Werbung in eigener Sache: „Die Bürgerstiftung unterstützt mit dem Soforthilfefonds „Gute(r)Dinge“ auch finanziell Initiativen, die mit Konzerten unter freiem Himmel – egal ob professionell oder als begeisterte Laien – gegen Einsamkeit und Isolation anspielen.“